24.06.2021 Johannistag

24.06.2021 Johannistag

Predigt: Lukas 1:5-25,57-66,80

5 Zu der Zeit des Herodes, des Königs von Judäa, lebte ein Priester von der Ordnung Abija mit Namen Zacharias, und seine Frau war von den Töchtern Aaron, die hieß Elisabeth. 6 Sie waren aber alle beide gerecht und fromm vor Gott und lebten in allen Geboten und Satzungen des Herrn untadelig. 7 Und sie hatten kein Kind; denn Elisabeth war unfruchtbar, und beide waren hochbetagt. 8 Und es begab sich, als Zacharias den Priesterdienst vor Gott versah, da seine Ordnung an der Reihe war, 9 dass ihn nach dem Brauch der Priesterschaft das Los traf, das Räucheropfer darzubringen; und er ging in den Tempel des Herrn. 10 Und die ganze Menge des Volkes betete draußen zur Stunde des Räucheropfers. 11 Da erschien ihm der Engel des Herrn, der stand an der rechten Seite des Räucheraltars. 12 Und als Zacharias ihn sah, erschrak er, und Furcht überfiel ihn. 13 Aber der Engel sprach zu ihm: Fürchte dich nicht, Zacharias, denn dein Gebet ist erhört, und deine Frau Elisabeth wird dir einen Sohn gebären, dem sollst du den Namen Johannes geben. 14 Und du wirst Freude und Wonne haben, und viele werden sich über seine Geburt freuen. 15 Denn er wird groß sein vor dem Herrn; Wein und starkes Getränk wird er nicht trinken und wird schon von Mutterleib an erfüllt werden mit dem Heiligen Geist. 16 Und er wird viele der Israeliten zu dem Herrn, ihrem Gott, bekehren. 17 Und er wird vor ihm hergehen im Geist und in der Kraft des Elia, zu bekehren die Herzen der Väter zu den Kindern und die Ungehorsamen zu der Klugheit der Gerechten, zuzurichten dem Herrn ein Volk, das wohl vorbereitet ist. 18 Und Zacharias sprach zu dem Engel: Woran soll ich das erkennen? Denn ich bin alt und meine Frau ist hochbetagt. 19 Der Engel antwortete und sprach zu ihm: Ich bin Gabriel, der vor Gott steht, und bin gesandt, mit dir zu reden und dir dies zu verkündigen. 20 Und siehe, du wirst verstummen und nicht reden können bis zu dem Tag, an dem dies geschehen wird, weil du meinen Worten nicht geglaubt hast, die erfüllt werden sollen zu ihrer Zeit. 21 Und das Volk wartete auf Zacharias und wunderte sich, dass er so lange im Tempel blieb. 22 Als er aber herauskam, konnte er nicht mit ihnen reden; und sie merkten, dass er eine Erscheinung gehabt hatte im Tempel. Und er winkte ihnen und blieb stumm. 23 Und es begab sich, als die Zeit seines Dienstes um war, da ging er heim in sein Haus. 24 Nach diesen Tagen wurde seine Frau Elisabeth schwanger und hielt sich fünf Monate verborgen und sprach: 25 So hat der Herr an mir getan in den Tagen, als er mich angesehen hat, um meine Schmach unter den Menschen von mir zu nehmen.
57 Und für Elisabeth kam die Zeit, dass sie gebären sollte; und sie gebar einen Sohn. 58 Und ihre Nachbarn und Verwandten hörten, dass der Herr große Barmherzigkeit an ihr getan hatte, und freuten sich mit ihr. 59 Und es begab sich am achten Tag, da kamen sie, das Kindlein zu beschneiden, und wollten es nach seinem Vater Zacharias nennen. 60 Aber seine Mutter antwortete und sprach: Nein, sondern er soll Johannes heißen. 61 Und sie sprachen zu ihr: Ist doch niemand in deiner Verwandtschaft, der so heißt. 62 Und sie winkten seinem Vater, wie er ihn nennen lassen wollte. 63 Und er forderte eine kleine Tafel und schrieb: Er heißt Johannes. Und sie wunderten sich alle. 64 Und sogleich wurde sein Mund und seine Zunge aufgetan, und er redete und lobte Gott. 65 Und es kam Furcht über alle Nachbarn; und diese ganze Geschichte wurde bekannt auf dem ganzen Gebirge Judäas. 66 Und alle, die es hörten, nahmen's zu Herzen und sprachen: Was wird aus diesem Kindlein werden? Denn die Hand des Herrn war mit ihm.
80 Und das Kindlein wuchs und wurde stark im Geist. Und er war in der Wüste bis zu dem Tag, an dem er vor das Volk Israel treten sollte.

„Was soll aus dem Jungen nur werden?“ Diese Frage, liebe Mitchristinnen und Mitchristen, liegt auf manch einem Menschen schwer. „Was soll aus dem Jungen bloß werden?“ Diese Frage hat auch der Schriftsteller Heinrich Böll immer wieder in jungen Jahren gehört. Und kaum einer, der diese Worte ausgesprochen hat, konnte sich wohl vorstellen, dass Heinrich Böll einer der bedeutendsten Schriftsteller der unmittelbaren Nachkriegszeit werden würde.

„Was soll aus dem Jungen nur werden?“ Solche Sätze können prägend sein. Manch einem werden diese Sätze zur Last. Mit diesen Worten kann man einen Menschen festlegen. Und das bedeutet, dass man einen Menschen lähmt. Dahinter stehen verdeckt Aussagen wie: „Aus dem wird doch eh nichts“, „Das ist ein Versager.“ „Dieser Mensch macht sich das Leben selber nur schwer.“ Doch es sind gerade diese Worte, die einem Menschen die Freiheit, die Kreativität, die Freude und die Begeisterung nehmen. Worte haben Macht und sie können verletzen. Und diese seelischen Verletzungen verschließen einen Menschen.

„Was soll aus diesem Jungen nur werden?“ Diese Worte haben Menschen zu einem Jungen gesagt, der eine außergewöhnliche Geschichte hatte. Doch diese Geschichte war auch geprägt von den Urteilen und Vorurteilen, die Menschen der damaligen Zeit in sich trugen. Und so beginnt die Geschichte des Johannes nicht erst mit seiner Geburt. Sie hat bereits eine Vorgeschichte. Und diese Vorgeschichte ist ebenfalls geprägt von den gesellschaftlichen Positionen und Meinungen, die die Menschen damals in sich trugen.

Meinungen und Ansichten, was in der Gesellschaft akzeptiert ist und was nicht, prägen auch unsere Zeit. Gerade in unseren Tagen wird in Zusammenhang mit einem Fußballspiel diskutiert, ob es in Ordnung ist, dass die UEFA, der europäische Fußballbund die Beleuchtung der Münchener Arena in den Regenbogenfarben verboten hat. Was in früheren Zeiten Menschen angetan worden ist, die nicht in das Schema passten, die nicht dem gesellschaftlichen Konsens entsprachen, das ist sehr schlimm gewesen. Selbst wenn man nicht mit einer Lebensform konform gehen kann oder will, so ist es doch entscheidend, jeden Menschen als wertvolles und geliebtes Geschöpf Gottes zu sehen. Folglich kann  und darf es keine Ausgrenzung geben. Dennoch erleben wir heute unter der propagierten Toleranz immer wieder auch das Gegenteil. Wenn an Schulen mittlerweile Schülerinnen und Schüler, die neudeutsch ausgedrückt streight sind, also im klassischen Sinne heterosexuel, gedisst werden, also abfällig beäugt werden, dann ist das Ziel gerade nicht erreicht, dann schlägt das Pendel nur in die entgegengesetze Richtung aus,  dann haben wir letztlich das gleiche Problem nur unter anderen Vorzeichen. Und somit sind wir wiederum bei den Festlegungen, die andere Menschen über eine Person sprechen.

„Was soll aus dem Jungen nur werden?“ Das wird heute sehr konkret an der Person des Johannes. Und da wurde vieles über ihn und seine Eltern gesagt. Dass also bereits vor Johannes seine Eltern schon mit Festlegungen behaftet wurden, zeigt die Brisanz der Macht der Worte.

Blicken wir also mal auf die Eltern von Johannes. Zacharias und Elisabeth waren ein Ehepaar, das wohl ganz ordentlich und zufrieden gelebt hat. Nur ein Problem war aufgetreten. Aus irgendeinem Grund haben die beiden keine Kinder bekommen. Das mag auf der ersten Blick für manche Menschen in unseren Tagen gar kein so großes Problem sein. Doch sehen wir auch, wie viele Paare mit unerfülltem Kinderwunsch alles Mögliche versuchen, doch an Kinder zu kommen. Und in unseren Tagen gibt es da auf medizinischer Seite sehr viel mehr Möglichkeiten als in jener Zeit. Für Elisabeth und Zacharias war es auf jeden Fall bedrückend, keine Kinder zu haben. Zum einen fehlte ihnen auf diese Weise ihre Altersversicherung. In jenen Zeiten gab es keine Rente, keine Lebensversicherung oder andere Formen der Altersvorsorge. Normalerweise übernahmen die Kinder die Sorge um ihre Eltern. Aber damit konnten Elisabeth und Zacharias nicht rechnen. Außerdem haben die anderen Menschen ihre Gedanken gehabt. Warum klappt es bei den beiden nicht? Wir können uns vorstellen, dass die Spekulationen und der Tratsch der anderen sehr verletzend gewesen sein können. Und das lastet schwer.

Doch wir hören noch etwas über Zacharias und Elisabeth. Sie vertrauen auf Gott. Zacharias war ein frommer Mann. Und er war sogar am Tempel tätig. Das macht deutlich, dass er nicht resigniert hatte, dass er trotz seiner misslichen Lage auf Gott getraut hatte. „Warum auch immer wir keine Kinder bekommen, ich bleibe bei Gott, ich stehe ihm zu Diensten.“ Das ist schon bemerkenswert für einen Menschen, der einiges zu tragen hatte. Doch nun ist Zacharias ganz bei der Sache. Er ist im Tempel und vollzieht das Räucheropfer. Und da geschieht etwas Ungewöhnliches.

Auch das kann uns manchmal passieren. Da sind wir mit unseren Gedanken und mit unserem Herzen ganz bei Gott, und dann geschieht etwas, womit wir nicht gerechnet haben. An Gott glauben, das ist das eine, aber dann zu erleben, dass das tatsächlich Konsequenzen für das eigen Leben hat, das ist noch einmal etwas ganz anderes.

Mitten  im Tempel hat Zacharias eine außergewöhnliche Begegnung. Das ist auf einmal ein Engel, ein Bote Gottes. Und dieser Bote Gottes ist für uns in unserer Gemeinde sehr nahe. Es ist der Erzengel Gabriel, nachdem unsere Gabrielkirche benannt ist. Und dieser Bote Gottes hat eine Botschaft für Zacharias, die ihm glatt die Sprache verschlägt. Zacharias kommt an die Grenzen seines Glaubens. Nun wird es ernst. Nun muss sich zeigen, was sein Glaube ausmacht.

Doch Gabriel weiß darum, dass seine Botschaft umwerfend ist. „Deine Frau wird einen Sohn gebären!“ Das kann doch nicht wahr sein. Sie gilt doch als unfruchtbar und ist hochbetagt! Das, was die anderen über Elisabeth sagen, das kann sie doch nur gänzlich für dieses Thema verschließen. Und so ist es doch letztlich auch bei Zacharias. Wie oft hat er das gehört! Bei Euch geht nichts mehr. Da ist alles aus und vorbei.

Doch in der Gegenwart Gottes und vor dem Engel, dem Boten Gottes, da wird auf einmal alles ganz anders. Gott wirkt an dem betagten Ehepaar. Er durchbricht die Festlegungen ihres Lebens, die vor allem auch andere auf sie gelegt haben. Und das will auch uns ermutigen. Lassen wir nicht die herunterziehenden Sätze anderer auf uns wirken. Lassen wir uns nicht von dem Bedrückenden herunterziehen.

Zacharias hat damals beim Räucheropfer aufgeblickt. Er hat sich der Gegenwart Gottes ausgesetzt. Und Gott hat Worte der Geborgenheit und des Friedens für ihn. „Fürchte dich nicht!“ „Deine Gebete sind erhört!“ Wer seinen Blick verändert, nicht auf die bedrückenden Dinge des Lebens schaut, sondern aufblickt zum Schöpfer und Geber allen Lebens, der kann was erleben.

Mit der Botschaft Gottes durchbricht der Erzengel Gabriel alle Gepflogenheiten. Hier wird bereits der Name des Kindes genannt. Johannes soll er heißen. Das passt auf den ersten Blick gar nicht. Das widerspricht der damaligen Tradition. Niemand in der Familie von Zacharias und Elisabeth trägt den Namen Johannes. Doch dieser Name durchbricht die Festlegungen der Menschen über dem Paar. Denn Johannes bedeutet: Gott ist gnädig. Während die anderen so unbarmherzig über Elisabeth und  Zacharias geredet haben, begegnet Gott ihnen mit großer Zuwendung und Liebe.

Und dazu erwählt sich Gott dieses Kind auch noch zu einer außergewöhnlichen Aufgabe. „Was soll aus dem Jungen nur werden?“ Bei Johannes steht es schon fest. Aber es ist keine verächtliche Festlegung durch andere Menschen. Es ist vielmehr Gottes Plan, der diesem Kind einen Weg aufzeigt, der etwas mit Befreiung zu tun hat. Denn Johannes wird den Menschen Gottes Botschaft verkünden. Und diese ist: „Kehrt um und glaubt an das Evangelium!“ Also: „Bleibt nicht bei den engherzigen menschlichen Festlegungen stehen, sondern eröffnet neue Freiheit und Perspektive. Werdet frei von den alten Bindungen! Gott will Euch diese Freiheit schenken.“

Auch Elisabeth kann aufatmen. Der Weg, ein Kind zur Welt zu bringen, ist sicherlich kein einfacher. Und in ihrem Alter mag das noch etwas herausfordernder gewesen sein. Aber sie spürt: Gott hat sie nicht im Stich gelassen. Er hat sie nicht mit ihren Sorgen und Nöten allein gelassen. Und er hat die Schmach, die auf ihr lag, weil sie als unfruchtbar galt, von ihr genommen. Elisabeth konnte ganz neu aufblicken. Sie fühlte sich frei und glücklich, weil Gott an ihr gehandelt hat.

Auch an uns will Gott immer wieder handeln, und zwar zu unserem Besten. Auch uns will Gott frei machen von den Festlegungen, die über uns ausgesprochen sind, von dem, was unser Leben bedrückt und herunterzieht. Gott ist gnädig! Johannes ruft auch uns zu: „Kehrt um und glaubt an das Evangelium!“ Gott möchte Dein Leben verändern. Er möchte, dass Du aufblicken kannst, dass Du voll Zuversicht Deinen Weg gehen kannst.

Gott ist gnädig. Beim Anblick des Kindes ist Zacharias nicht mehr zu halten. Seine Bindungen, sein Versagen der Stimme, all das ist weggewischt. Zacharias stimmt das Lob Gottes an. Er redet von den guten Taten Gottes und lobt ihn vor Freude. Schön, wer seine Sprache wieder findet und dann loben kann. Das ist ein Ausdruck dafür, dass die Bindungen und Fesseln gefallen sind.

„Was soll aus dem Jungen nur werden?“ Keine Sorge! Gott hat einen Weg! Wir alle dürfen Kinder Gottes sein. Wir können und dürfen uns ihm zuwenden und frei werden zu einem Leben voll des Lobes. Gott lädt uns ein, dass wir zu ihm kommen und unsere Fesseln ablegen, raus aus der Gefangenschaft der alten Dinge, der Verletzungen und des Scheiterns, hin zu neuer Freude und neuem Elan.

Johannes – Gott ist gnädig! Wir sind geliebt bei Gott. „Was soll aus Dir und mir nur werden?“ Wir dürfen Kinder Gottes sein. Jede und jeder ist bei Gott in guten Händen und kann frei werden. Gehen wir diesen Schritt ganz konkret: Lass Deine Festlegungen hinter Dir. Gib sie ab! Gott ist gnädig. Er möchte die frei machen zu einem neuen Leben!

Ihr Pfarrer Carsten Klingenberg