20.06.2021 3. Sonntag nach Trinitatis

20.06.2021 3. Sonntag nach Trinitatis

Predigt: Lukas 15:1-10 LÜ

1 Es nahten sich ihm aber alle Zöllner und Sünder, um ihn zu hören. 2 Und die Pharisäer und die Schriftgelehrten murrten und sprachen: Dieser nimmt die Sünder an und isst mit ihnen. 3 Er sagte aber zu ihnen dies Gleichnis und sprach: 4 Welcher Mensch ist unter euch, der hundert Schafe hat und, wenn er eines von ihnen verliert, nicht die neunundneunzig in der Wüste lässt und geht dem verlorenen nach, bis er's findet? 5 Und wenn er's gefunden hat, so legt er sich's auf die Schultern voller Freude. 6 Und wenn er heimkommt, ruft er seine Freunde und Nachbarn und spricht zu ihnen: Freut euch mit mir; denn ich habe mein Schaf gefunden, das verloren war. 7 Ich sage euch: So wird auch Freude im Himmel sein über einen Sünder, der Buße tut, mehr als über neunundneunzig Gerechte, die der Buße nicht bedürfen. 8 Oder welche Frau, die zehn Silbergroschen hat und einen davon verliert, zündet nicht ein Licht an und kehrt das Haus und sucht mit Fleiß, bis sie ihn findet? 9 Und wenn sie ihn gefunden hat, ruft sie ihre Freundinnen und Nachbarinnen und spricht: Freut euch mit mir; denn ich habe meinen Silbergroschen gefunden, den ich verloren hatte. 10 So, sage ich euch, ist Freude vor den Engeln Gottes über einen Sünder, der Buße tut.


Liebe Mitchristinnen und Mitchristen!

Vor Weihnachten habe ich einen Computerstick verloren. Ich kann mich noch genau erinnern, wann ich ihn zuletzt in Händen hatte Das war im Gymnasium. Und dann verlieren sich seine Wege. Als es mir aufgefallen ist, dass der Stick nicht mehr da ist, habe ich einen Schreck bekommen. Da sind so viele Dateien drauf abgespeichert, Dateien, die ich auch weiterhin benötige. Wenn das nun alles verloren ist, dann sitze ich ganz schön da. Was habe ich also gemacht? Ich bin zurück ins Gymnasium und habe die Räume, in denen ich gewesen bin, abgesucht. Ich bin noch ein zweites Mal zurück ins Gymnasium. Ich hätte ja etwas übersehen können. Ich habe eine E-Mail an die anderen Lehrkräfte geschrieben. Vielleicht hat jemand den Stick gefunden. Doch leider gab es keine Antwort. Dann habe ich mein Auto immer wieder durchsucht. Vielleicht ist der Stick ja während der Heimfahrt vom Gymnasium in irgendeine Ritze gerutscht. Aber auch dort immer wieder: Fehlanzeige. Zuhause habe ich auch gesucht, auf meinem Schreibtisch, in meinen Jackentaschen und und und… Allmählich habe ich mich damit abgefunden, dass ich ihn vorerst einmal nicht wiederfinde. Und dennoch hatte ich in mir das Gefühl, dass er irgendwie noch da sein musste. Neulich nun lag der Stick auf unserer Kommode. Meine Frau hatte ihn im Vorgarten zwischen den Blumen gefunden. Er muss mir wohl beim Heimkommen aus der Tasche gefallen sein. Meine Erleichterung war groß. Und ich habe mich gefreut, dass ich ihn wieder hatte.

Das war eine der unendlich vielen Geschichten von Verlieren, Suchen und Wiederfinden. Und solche Geschichten haben wir heute auch gehört. Jesus erzählt immer wieder Menschen anschauliche Geschichten. Und auch die beiden Geschichten heute sind nett zu hören. Und doch fragen wir uns vielleicht: Was will Jesus damit sagen? Es klingt zu einfach, sich auf die Formel: Verlieren, Suchen, Finden zu begrenzen. Das wäre eine Allerweltsgeschichte, die jetzt nicht sonderlich interessant wäre.

Worum geht es hier also? Ich denke: Hier geht es um mich und Dich. Und das nicht nur oberflächlich. Wir werden hier vor eine Entscheidung gestellt. Und diese Entscheidung sagt etwas über uns aus. Deshalb ist es auch gut, wenn wir zuerst einmal nicht auf die Geschichten schauen, die Jesus erzählt, sondern auf die Ausgangslage.

Worum geht es hier eigentlich? Wir befinden uns in einem Spannungsfeld. Hier knistert es. Wir stehen zwischen Neugier und Argwohn. Und das sagt auch etwas über mich und Dich aus. Wer bin ich? Was bin ich für ein Mensch? Oder bin ich manchmal der eine und manchmal der andere?

Zu Jesus kamen Menschen voll Neugier. Es waren Menschen, die etwas in ihrem Leben falsch gemacht hatten, die angeeckt waren, Menschen, die nun mit ihren Sorgen und Nöten dastanden und eine tiefe Sehnsucht in sich trugen, dass sich etwas in ihrem Leben verändern würde. Und das sind Menschen wie Du und ich. Wenn wir ganz ehrlich mit uns selbst sind, dann müssen wir bekennen, dass uns unser Leben auch nicht immer gelingt. Wir stoßen an unsere Grenzen. Wir scheitern manchmal. Wir haben Misserfolg. Wir wissen nicht weiter. Und da wird in uns auch eine solche Sehnsucht nach neuem Leben wach wie bei den Menschen, die hier als Zöllner und Sünder beschrieben werden.

Doch mit diesen Menschen wollen wir gar nicht so gerne etwas zu tun haben. Wir wollen nicht mit Zöllnern und Sündern identifiziert werden. Zöllner und Sünder, das sind doch Menschen, die irgendetwas Anstößiges getan haben. Um die sollte man doch lieber einen Bogen machen.

Doch Jesus macht keinen Bogen um sie. Jesus steht mit offenen Armen für sie da. Und sie kommen auch voller Neugier, weil sie gehört oder gesehen haben, dass Jesus sich gerade auch um die Menschen kümmert, die auf Abwege geraten sind, die gescheitert sind, die nicht mehr wissen, wie es weiter gehen soll. Und so setzt sich Jesus mit ihnen zusammen. Er setzt sich mit ihnen zu Tisch. Er isst mit ihnen und er ist mit ihnen. Und das ist mehr als nur ein Zusammensitzen. Das bedeutet auch enge Verbundenheit. Welch eine Botschaft! Du bist wertvoll! Du bist angenommen! Tut uns das nicht auch immer wieder gut? Macht uns das nicht auch neugierig?


Doch da stehen auf der anderen Seite die Schriftgelehrten und Pharisäer, die Insider, die meinen, sie wären auf dem rechten Weg. In ihnen ist der Argwohn geweckt worden. Dieser Jesus ist mit den schrägen Vögeln der Gesellschaft zusammen. Das geht nicht! Und dann stiehlt er uns noch die Show! Konkurrenzdenken spielt da auch noch eine Rolle!

Und wie schnell rutschen wir selber in einen solchen Argwohn? So leicht blicken wir auf andere und denken: Das geht so nicht! Von denen muss man sich lieber fernhalten. Und wenn sie einen Erfolg haben, dann muss man es schlecht reden. Denn das darf nicht sein!

Wo stehe ich? Bin ich dieser oder der andere? Das ist die treffende Frage, die sich uns stellt. Komme ich neugierig, weil ich spüre: Bei Jesus finde ich das Entscheidende für mein Leben! Hier habe ich einen Platz! Hier darf ich sein! Oder will ich es anderen nicht gönnen, dass sie einen Platz in der Gemeinschaft haben, dass sie auch dazugehören?

Jesus geht es um das Ungewöhnliche. Die Pharisäer und Schriftgelehrten reagieren dagegen so, wie sich Menschen in dieser Welt gewöhnlich verhalten. Abgrenzung, Misstrauen, Argwohn, das begegnet uns in der Regel in dieser Welt.

Doch Jesus durchbricht dieses Denken. Und er macht es uns anschaulich in den zwei Beispielgeschichten, die wir heute hören. Beide sind absolut ungewöhnlich.
Der Hirte verlässt die Herde, lässt sie in der Wüste stehen. Das ist ein Risiko. So sind die anderen durchaus schutzlos. Aber der Hirte hat erkannt: Hier fehlt ein Schaf! Und dieses muss gerettet werden. Der Hirte denkt durchaus unlogisch für unsere Maßstäbe. Normalerweise würden wir sagen: Was macht das eine Schaf? Ich habe noch 99. Ich kümmere mich um diese. Es ist doch egal, was mit dem einen los ist. Das ist halt der natürliche Verlust. Aber nein, so denkt Jesus nicht! So denkt Gott nicht! Hier geht es nicht um das Leistungsdenken. Hier geht es nicht darum: Du machst alles korrekt, und wenn nicht, dann bist Du eben weg vom Fenster. Jesus sieht die Not. Er blickt auf die Krisen von uns Menschen. Mag das Schaf alt und schwach, verwundet sein oder einfach in die Irre gegangen sein, egal – keiner darf aus dem Blick geraten! Und wenn ein Schaf fehlt, dann betrifft das auch die anderen! Das kann die anderen nicht kalt lassen.

Wie ist das bei uns? Können wir eiskalt ein Fest feiern, wenn wir uns um einen anderen Menschen in einer akuten Notlage kümmern müssten? Wir alle sind betroffen von der Not eines anderen. Und das dürfte uns auch nicht kalt lassen. Vielmehr können auch wir nur in Frieden und Freude zusammen sein, wenn wir wissen, dass der, der fehlt, in guten Händen ist. Die Nachricht, dass es jemand gut geht, den wir vermisst haben, die entfacht in uns Freude und Erleichterung. Nur so können wir feiern.

Und das andere Bild: Eine Frau hat eine Münze verloren. Sie hat zwar noch andere Münzen, aber diese eine Münze ist doch etwas wert. Sie entspricht einem Tageslohn. Und so fängt diese Frau an zu suchen und lässt nicht locker, bis sie die Münze wiedergefunden hat. So ist auch ein Mensch Gott so viel wert, dass er ihm nachgeht, ihm seine Zuwendung anbietet, ihn nicht verloren gibt. Jesus sagt: Jeder Mensch ist wertvoll. Ich gebe keinen auf. Ich gebe alles für einen jeden Menschen. Und wenn ein Mensch den Weg der Umkehr, der neuen Hinwendung zu Gott geht, dann ist Freude.

Mit seinen Gleichnissen, mit seinen Bildern lädt Jesus gerade die Argwöhnischen ein, sich mitzufreuen, wenn Menschen, die gescheitert sind, die auf Abwege geraten sind, wieder zurück finden in die Gemeinschaft. Und gerade deshalb kann es nicht um Ausgrenzung gehen. Wer einen Menschen argwöhnisch betrachtet, der seine alten Wege verlässt, der voll Neugier kommt, um sein Leben zu verändern, wird selber zu einem, der sich verschließt und ausgrenzt und somit vom Weg der Liebe Gottes sich abwendet. Mit den Gleichnissen hält Jesus den Pharisäern und Schriftgelehrten den Spiegel vor Augen und fragt sie ganz persönlich: Wollt Ihr Euch selber abwenden? Wollt Ihr selber vom guten Weg weichen? Jesus überführt den lieblosen Weg der Unbarmherzigkeit. Er führt uns andere Schritte: Lass Dich auf das Ungewöhnliche ein.

Und somit sind auch gerade wir immer wieder eingeladen an den Tisch des Herrn. Jesus sagt zu uns: Freut Euch mit über alle, die in der Tischgemeinschaft zusammenkommen. Ihr gehört zusammen! Und da darf keiner ausgeschlossen sein. Freut Euch über die, die einen neuen Weg einschlagen und neugierig kommen und ihr Leben verändern wollen. Und freut Euch mit über die Gemeinschaft, die Jesus schenkt. Er gibt uns Anteil an seinem Leben, an seinem Heil. Denn er heilt unsere Verletzungen, unsere Wunden.

Jesus steht für uns da mit offenen Armen und sagt: „Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid. Ich will euch erquicken!“
Wir alle brauchen die Einladung. Und sie führt uns immer wieder neu zur Freude, einer Freude, die keinen aus dem Blick verliert.

Als Menschen sind wir immer wieder auf der Suche. Nicht nur im täglichen Leben suchen wir etwas, was wir verloren haben. Die entscheidende Suche ist die Suche nach dem, was unserem Leben eine Perspektive, einen Halt gibt. Jesus will unseren Durst nach Leben stillen. Er lädt uns alle ein. Kommen wir neugierig und nicht als diejenigen, die meinen, wir brauchen so was eh nicht. Der Argwohn lässt uns nur ergrimmen und nimmt uns die Freude. Neugierde und Sehnsucht nach Befreiung dagegen führen uns zur Freude.

Kehren auch wir um! Entscheiden wir uns für Jesus! Staunen wir über die ungewöhnlichen Schritte. Keiner soll verloren gehen! Wir sind alle eingeladen in die Gemeinschaft am Tisch des Herrn.

Ihr Pfarrer Carsten Klingenberg