07.03.2021 3. Sonntag der Passionszeit – Oculi

07.03.2021 3. Sonntag der Passionszeit – Oculi



Predigt: Epheser 5:1-9 LÜ
1 So ahmt nun Gott nach als geliebte Kinder 2 und wandelt in der Liebe, wie auch Christus uns geliebt hat und hat sich selbst für uns gegeben als Gabe und Opfer, Gott zu einem lieblichen Geruch. 3 Von Unzucht aber und jeder Art Unreinheit oder Habsucht soll bei euch nicht einmal die Rede sein, wie es sich für die Heiligen gehört, 4 auch nicht von schändlichem Tun und von närrischem oder losem Reden, was sich nicht ziemt, sondern vielmehr von Danksagung. 5 Denn das sollt ihr wissen, dass kein Unzüchtiger oder Unreiner oder Habsüchtiger – das ist ein Götzendiener – ein Erbteil hat im Reich Christi und Gottes. 6 Lasst euch von niemandem verführen mit leeren Worten; denn um dieser Dinge willen kommt der Zorn Gottes über die Kinder des Ungehorsams. 7 Darum seid nicht ihre Mitgenossen. 8 Denn ihr wart früher Finsternis; nun aber seid ihr Licht in dem Herrn. Wandelt als Kinder des Lichts; 9 die Frucht des Lichts ist lauter Güte und Gerechtigkeit und Wahrheit.

Liebe Mitchristinnen und Mitchristen,

die Kirche hat derzeit keine gute Presse. Viele Nachrichten drehen sich immer um dasselbe. Da wird über den Missbrauch gesprochen.  Und wenn es in der Regel auch die katholische Kirche betrifft, dann leiden auch die anderen Konfessionen mit. Kirchenaustritt ist das große Schlagwort in den letzten Wochen. In Köln bricht ein Server zusammen, weil zu viele Menschen einen Termin beim Standesamt haben wollen, um aus der Kirche austreten zu können. Das schmerzt! Das schmerzt alle Christinnen und Christen. Und da ist jeglicher Spott gegenüber Katholiken fehl am Platz. Als Christinnen und Christen gehören wir zusammen, auch über die Konfessionsgrenzen hinweg. Und wir müssen bekennen, dass es nie schön ist, wenn schlecht über die Kirche gesprochen wird. Ob es sich jetzt um Missbrauch oder Verstöße gegen Hygienekonzepte oder Finanzskandale oder irgendwelche Probleme oder Missgeschicke dreht, es belastet immer und belastet die Stimmung in den Kirchen allgemein. Und dabei stellen wir fest: Das ist in der Tat nicht gut, wenn schlimme Dinge im Rahmen der Kirchen geschehen. Es ist wirklich nicht zu rechtfertigen, dass Menschen Dinge tun, die einfach nicht akzeptabel sind. Und da muss man sich von distanzieren und aufarbeiten. Zugleich können wir aber auch eine Erfahrung machen, die nicht leicht für uns Christinnen und Christen ist: Die Medien scheinen sehr sensibel auf die Fehler der Kirchen zu reagieren. Und so schnell sehen wir die bitteren Schlagzeilen vor uns, die die Kirchen an den Pranger stellen.

Dagegen hören wir nur wenig, wenn die gleichen Fehler an anderer Stelle gemacht werden. Für mich immer wieder erschreckend ist die Zahl der jährlichen Missbrauchsfälle in Deutschland. Da kann man nur innehalten und schockiert sein. Und im Gegensatz zur Gesamtzahl sind die in den Kirchen leider geschehenen Fälle äußerst gering. Warum wird über die Fehler der Kirchen so massiv berichtet, während über die anderen Bereiche geschwiegen wird? Müsste man nicht vielmehr auch dorthin schauen? Müsste man nicht klar benennen, was Sache ist und den armen Menschen, die unter ihrer Situation leiden zur Seite gehen? Das muss in jedem Fall geschehen – egal, ob in der Kirche oder außerhalb -, aber verschwiegen werden darf es nicht!

Und dennoch: Warum wird so viel mehr über die Verfehlungen in den Kirchen gesprochen als in anderen Bereichen der Gesellschaft?

Ich denke, das hängt mit dem zusammen, was wir im Epheserbrief heute hören. Für manche Menschen erscheint der krasse Gegensatz zwischen Kindern des Lichts und Kindern der Finsternis zu heftig. Schwarz-weiß-Denken, das kann es nicht sein! Es gibt doch viele Graustufen. Und es gibt letztlich ganz andere Schattierungen: Das Leben ist bunt. Ja, mag sein. Aber worum geht es hier eigentlich?

Versetzen wir uns doch einmal in die Zeit von damals. Ephesus war eine Hafenstadt, in der das Leben tobte. Handel wurde getrieben. Menschen aus aller Herren Länder kamen hier zusammen. Eine multikulturelle Stadt war dies. Ja, und da gab es auch noch ganz besondere Akzente. Der Kult dieser Stadt um die Diana von Ephesus zog zahlreiche Pilger an. Das Leben pulsierte. Und mit diesem Leben auch mancherlei Umtriebe. In dieser Gesellschaft gab es so manches wilde Treiben. Auf sexuellem Gebiet war man mitunter ziemlich locker. Dazu kamen Klatsch und Tratsch. Und manch einer nutzte seine Position aus, um zum eigenen Lustgewinn andere zu missbrauchen. Klatsch und Tratsch taten ihr Übriges. In einer Ellenbogengesellschaft, in der die Macht des Stärkeren regiert, schaut jeder nur auf sich. Da konnten damals Juden und Christen nicht mitmachen. So waren diese beiden Gruppen der krasse Gegenpol zur vorherrschenden Stimmung. Und gerade auch in der jungen christlichen Gemeinde war ein anderer Geist zu spüren.

„Ihr seid Kinder des Lichts“, schreibt der Apostel. Und das ist keine Zukunftsperspektive, keine Zielmarke. Es ist eine Feststellung, die bereits für jetzt und heute gilt. Und das hat seinen Grund: Wer sich für Jesus entscheidet, ändert sein Leben radikal. Es ist eine Frage des Lebensstils. Egoismus hat hier keinen Platz mehr. Die Taufe stellt in ein neues Leben, ein Leben, das nur einen vor Augen hat, nämlich Gott. Das Alte ist vergangen. Jetzt gilt es, auf Gott zu schauen. „Seid Nachahmer Gottes!“ Das sind große, starke Worte. Aber ist das nicht ein bisschen zu viel des Guten? Und was heißt das überhaupt? Wie kann ich Gott nachahmen?

Wir müssen da auf Jesus schauen. Hier begegnet uns die Liebe Gottes, die Zuwendung Gottes zu den Menschen. Und in ihm erkennen wir, was diesen grundlegend anderen Lebensstil ausmacht. Gottes Liebe sieht jeden Menschen. Da ist keiner ausgenommen. Jeder ist wertvoll. Und deshalb geht es nicht mehr um Lustgewinn, um platten Spaß, sondern um wahre Lebensfreude, die aus den Beziehungen zu Gott und den Mitmenschen erwächst.

Gehen wir in unsere Zeit! Da mag sich die Frage stellen: Ist das mit Gott nicht weltfremd? Müssen wir da nur todernst dreinblicken? Dürfen wir uns nicht freuen? Das wäre doch ein langweiliges Leben. Christinnen und Christen erscheinen dann bedrückt und ohne Spaß. Doch hier geht es um etwas anderes: Wer Christus vor Augen hat, seine Liebe zu uns Menschen, der erkennt auch, wo diese Liebe unter die Räder kommt. In unseren Tagen sind die Stichworte wie Unzucht und loses Reden hoch aktuell. Wie schon gesagt gibt es sehr viel mehr Leid durch Missbrauch, als wir uns vorstellen können. Und Mobbing ist ein sehr zentrales Thema unserer Zeit. Auf vielfältige Weise werden anderen Menschen seelische Verletzungen zugefügt. Habgier und Geiz sind Formen des Egoismus auch unserer Zeit. „Ich will Spaß, ich will Spaß“, wie es in einem Lied der Neuen Deutschen Welle hieß, oder der Werbeslogan „Geiz ist geil“ sprechen eine eigene Sprache. Da schauen die Menschen nur auf sich. Hauptsache, ich hab meinen Spaß. Auf Kosten anderer nur im eigenen Interesse, dieser Lebensstil führt auf Dauer nicht zur Erfüllung. Hier geraten andere unter die Räder.

Oculi – „Meine Augen sehen stets auf den Herrn“, dieser Psalmvers, nachdem unser Sonntag benannt ist, gibt uns die Richtung vor. Auf den Herrn, auf Jesus sollen wir schauen. Und dieser Blick öffnet uns die Sicht für die neue Welt Gottes, für das Reich Gottes. Es ist keine Angelegenheit nur in der Zukunft. Es wird mitten unter uns schon konkret. Dort, wo wir uns eben nicht vom Egoismus, von den finsteren Werken des Geizes und der Habgier bestimmen lassen, dort können wir staunen über das, was ein Leben mit Gott für uns bedeutet.

„So nicht, Kirche!“ Dieser mahnende Ruf macht deutlich, dass wir uns als Christinnen und Christen nicht alles erlauben können. Wenn wir uns wieder gefangen nehmen lassen von den Prinzipien des alten Lebensstils, dann wiegt das schwer. Die Menschen haben ihre Erfahrungen mit diesem Lebensstil. Er macht nicht unbedingt glücklich. Die Ellenbogengesellschaft mit ihrem Geiz und ihrer Habsucht bringt mancherlei Verletzungen mit sich. Scheitern und Misserfolg, Erfahrungen von Niederlagen und Missachtung sitzen tief und schmerzen. Leider ist es eine nüchterne Feststellung, dass wir Christinnen und Christen auch unsere Grenzen haben und leicht abrutschen können in alte Gewohnheiten.

Hier möchte uns der Apostel ermahnen. Die Menschen sehnen sich nach einer anderen Welt, nach einem anderen Lebensstil. Sie spüren, dass ausschweifendes, lockeres Leben auf Dauer nichts bringt. Und so ist gerade die christliche Gemeinde eine Alternative. Nur, wenn sie eine andere Ausstrahlung hat, beeindruckt sie. Wenn sie nach außen die gleichen Symptome zeigt wie die normale Gesellschaft, dann ist sie wenig überzeugend.

„So nicht, Kirche!“, sagen viele Menschen. Und das gilt ganz besonders, wenn Kirche, wenn Christinnen und Christen dem üblichen Verhalten in der Gesellschaft gleichen. „Seid Nachahmer Gottes!“ Diese Aufforderung lässt uns auf Jesus schauen. Und dann stellt sich immer wieder neu die Frage für uns ganz persönlich: Wie würde Jesus in dieser Situation handeln? Blicken wir auf das, was uns die Evangelien berichten! Jesus wendet sich den Menschen zu. Er geht auf Menschen zu, die in Sorgen und Nöten gefangen sind. Er nimmt sie heraus aus ihrer Isolation, aus ihren seelischen Verletzungen. Er gibt ihnen ihre Würde zurück, heilt ihre Verletzungen, vergibt ihnen. Er führt Menschen ins Leben. Er setzt sich mit Menschen zusammen an einen Tisch, isst, trinkt, feiert mit ihnen. Von wegen, dass Christsein langweilig und freudlos sei. Nein, der entscheidende Unterschied ist, dass Jesus mit den Menschen das Leben teilt, dass er ihnen neue Lebensfreude schenkt, sie befreit von den Bindungen des Lebens.

Der Gegensatz zwischen Licht und Finsternis klingt radikal. Und das ist er auch. Er beschreibt die Freiheit, die Christus schenkt, und setzt sie in Kontrast zu den Verstrickungen des egoistischen Wesens.

Und so möchte der Apostel uns mit seinen Worten hineinnehmen in die Gemeinschaft derer, die Christus nachahmen. Das Ziel seines Briefes ist das Leben der christlichen Gemeinde in Einheit. Er weiß darum, dass es auch unter Christinnen und Christen zu Spannungen und Verfehlungen kommen kann. Er kennt die ganz besonderen Schwachstellen im Bereich von Sexualität und lockerem Gerede. Er ist sich dessen bewusst, dass dies Bereiche sind, wo Christinnen und Christen reinrutschen können und damit angreifbar werden und dies zum Schaden für die ganze Gemeinde ist.

„Ihr seid Kinder des Lichts!“ Diese Zusage soll uns daran erinnern, dass wir Orientierung und Wegweisung bei Christus bekommen. Deshalb lasst uns auf ihn schauen, seinem Vorbild wandeln nach.

In der Kirche, unter Christinnen und Christen wird es immer wieder zu Problemen kommen. Andere stürzen sich darauf und schlachten es aus. Das ist nicht erfreulich. Aber Christus ruft zur Umkehr. Und der Apostel schließt sich dem an. Der Weg führt uns hin zu Jesus, mit ihm auch auf den steinigen Weg der Leiden. Aber wenn wir auf Jesus blicken, sehen wir, dass am Ende das Licht des Lebens steht. Und davon dürfen wir jetzt schon leben, indem wir Jesus nachahmen. Und da gilt es nicht nur zu nicken, sondern von Herzen Ja dazu zu sagen.

Ihr Pfarrer Carsten Klingenberg