06.12.2020 2. Advent

06.12.2020 2. Advent

Predigt: Jakobus 5:7-11

7 So seid nun geduldig, Brüder und Schwestern, bis zum Kommen des Herrn. Siehe, der Bauer wartet auf die kostbare Frucht der Erde und ist dabei geduldig, bis sie empfange den Frühregen und Spätregen. 8 Seid auch ihr geduldig und stärkt eure Herzen; denn das Kommen des Herrn ist nahe. 9 Seufzt nicht widereinander, damit ihr nicht gerichtet werdet. Siehe, der Richter steht vor der Tür. 10 Nehmt zum Vorbild des Leidens und der Geduld die Propheten, die geredet haben in dem Namen des Herrn. 11 Siehe, wir preisen selig, die erduldet haben. Von der Geduld Hiobs habt ihr gehört und habt gesehen, zu welchem Ende es der Herr geführt hat; denn der Herr ist barmherzig und ein Erbarmer. 12 Vor allen Dingen aber, Brüder und Schwestern, schwört nicht, weder bei dem Himmel noch bei der Erde noch mit einem andern Eid. Es sei aber euer Ja ein Ja und euer Nein ein Nein, damit ihr nicht dem Gericht verfallt.

 

Geduld! Geduld! Geduld! Geduld! Liebe Mitchristinnen und Mitchristen! Gleich viermal begegnet uns der Aufruf zur Geduld in diesen wenigen Zeilen. Doch wir sind so ungeduldig. Wir wollen nicht gerne warten! Das ist die Erfahrung von uns allen. Und da fangen wir bei den Kindern an: So manch einer von unseren Kleinen kann es nicht erwarten, dass alle Türchen auf dem Adventskalender geöffnet sind. Manch einer muss schon einmal heimlich vorher hineinschauen. Doch dann ist mit einem Mal die Anspannung weg. Was wir schon kennen, nimmt uns die Vorfreude auf das, was kommt.

Geduld ist nötig. Das gilt auch in Blick auf unsere Verkehrsmittel. In den vergangenen Tagen konnte man in der Presse lesen, dass eine Frau ihren Zug von Osnabrück nach Bielefeld verpasst hatte. Auf den nächsten Zug zu warten war ihr zu viel an Geduld. Als ein Güterzug einfuhr, sprang sie kurzer Hand auf diesen. Leute haben es beobachtet. Und der Güterzug wurde am nächsten Bahnhof angehalten. Ob sich das gelohnt hat? Wohl nicht. Letztlich ist es nur schlimmer geworden. Hätte die Frau doch auf den nächsten Zug gewartet.

Geduld wird von uns auch in diesen Zeiten erwartet, wenn es um Corona geht. Ja, das Leben ist einfach ganz anders in dieser Zeit. Wir alle sehnen uns nach normalen Zeiten, nach Zeiten, in denen wir wieder all das tun können, was wir gerne unternehmen wollen. Wie sehr würden wir gerne wieder ohne Maske herumlaufen, uns frei und unbeschwert fühlen! Wie sehr sehnen wir uns nach Zeiten, in denen wir nicht ständig befürchten müssen, dass an der nächsten Türklinke das Coronavirus  lauert. Aber auch hier ist Geduld angesagt. Und das bedeutet, dass wir manche Unannehmlichkeit auf uns nehmen müssen, dass wir unser Leben einschränken und auf Nummer sicher gehen müssen. Das ist freilich nicht schön. Ja, wir würden am liebsten ein ganz normales Weihnachtsfest feiern und davor eine Adventszeit haben wie immer, eben so mit den vertrauten Düften, Liedern, Atmosphären und Bräuchen. Doch das geht in  diesem Jahr nicht. Da sind wir noch eine ganze Wegstrecke von entfernt, bis es wieder so sein kann.

Advent ist die Vorbereitungszeit auf Weihnachten. Und das bedeutet von Haus aus, dass wir Geduld benötigen. Aber diese Zeit ist auch im Normalfall keine Zeit des langweiligen Abwartens. Es ist vielmehr eine Zeit der Vorbereitungen, eine Zeit, in der viel, manchmal auch gar zu viel geschieht. Viel zu sehr kümmern wir uns um die Äußerlichkeiten und viel zu wenig um das, worum es im Kern geht. Vielleicht ist es deshalb gerade in  diesem Jahr für uns von Bedeutung, dass wir die Adventszeit einmal wieder anders erleben. Und vielleicht erleben wir sie ganz neu, eben aus der Tiefe ihrer Bedeutung heraus.

Der Verfasser des Jakobusbriefes spricht zu uns über Geduld. Viermal nimmt er die Geduld in den Mund. Und das verbindet er stets mit einem Bild, das uns die Botschaft veranschaulicht.
Als erstes hören wir von einem Bauern. Ein Bauer sät im Frühjahr den Samen auf das Land. Und er hofft darauf, dass dieser Samen Frucht bringt, dass er heranwächst und am Ende Ertrag da ist. Doch dieses Wachsen und Gedeihen in der Landwirtschaft hängt von so vielen Faktoren ab. Der Landwirt kann an manchen Punkten nicht vorbei. Er hat sie nicht im Griff. So kommt es in jedem Jahr ganz entscheidend auf das Wetter an. Je nachdem, wie das Wetter ist, wird es auch bei der Ernte aussehen. Unsere Weinbauern und Obstbauern machen uns diese in jedem Jahr wieder sehr anschaulich. Gab es im Frühjahr zu viel Frost, kann es sein, dass die Ernte nicht so üppig ausfällt. Auch die Frage, wie sehr die Sonne geschienen hat, spielt eine Rolle. Trockenheit und Dürre gefährden in jedem Fall das Wachsen und Gedeihen.

Aber was soll dieses Bild aus der Landwirtschaft für uns und unser tägliches Leben bedeuten. Ein entscheidender Hinweis findet sich noch in den Worten dieses Briefes. Es geht um die Geduld und das Warten bis zum Kommen des Herrn. Christus wird wiederkommen. Das ist der Glaube der ersten, frühen Christenheit. Doch wir wissen nicht, wann das sein wird. Deshalb bedarf es der Geduld. Wenn ich am Bahnhof stehe und auf den nächsten Zug warte, dann weiß ich genau, wann dieser angesagt ist. Bei dem Auferstandenen ist das anders. Wir kennen weder Zeit noch Stunde. Es kann jederzeit sein. Es kann sich aber auch noch weit hinauszögern. Und das, was mit der Wiederkunft am Ende der Zeiten gemeint ist, das kann sich für jeden von uns konkret mit der Stunde des Todes verbinden.

Doch ist das der Punkt, auf den wir zugehen, auf den wir warten? Wollen wir nicht lieber etwas anderes? Geht es uns nicht vielmehr um eine unbeschwertes Leben hier und jetzt? So denken zumindest viele. Und so brauche wir Geduld, wenn etwas besser werden soll. Doch auch die Stunde unseres Todes kann für uns so ein Kommen des Herrn sein. Und dann ist die Frage, was die Ernte unseres Lebens sein wird, was unter dem Strich stehen wird. Dann ist die Frage der Bilanz unseres Lebens.

Wir können nicht vorhersehen, wann und wie es kommen wird. Doch wer vorbereitet ist, kann geduldig diesen Punkt abwarten. Er wird kommen, fragt sich nur wann.

Der zweite Akzent ist aber noch etwas deutlicher. Wir wissen zwar nicht die Stunde, wann unser Leben dem Ende zugeht und wir dem Herrn gegenüber stehen werden. Aber eines ist klar: Es kommt auf das jetzt an, auf die Zeit, in der wir gerade stehen. Bei all den Herausforderungen unseres Lebens ist Geduld gefragt. Und dabei geht es auch um die Frage, wie wir mit diesen Herausforderungen umgehen. Manches erscheint uns als leicht. Andere Dinge werden uns zu schwer. In jedem Fall sollten wir nichts auf die leichte Schulter nehmen.

Es geht vielmehr darum, die Zeit zu nutzen. Unser Leben soll eines im Blick haben: Der Herr ist nahe. Das Ende kann jederzeit bevorstehen und über uns hereinbrechen. Und dann stellt sich die Frage, wie wir dastehen. Es geht ganz entscheidend um unsere Beziehungen, um unsere Beziehungen zu unseren Mitmenschen, zur Umwelt, zu mir selbst und zu Gott. Und da sind wir mitten in unserem Alltag angekommen. Immer wieder kommt es dazu, dass wir mit anderen Menschen Probleme haben, dass Interessen aneinander geraten. Und dort wo es knirscht im Gebälk, wo Sand im Getriebe ist, da brauchen wir Veränderung. Da geht es um neue Ansätze für das Miteinander. „Siehe, der Richter steht vor der Tür.“ Diese Worte klingen bedrohlich. Und sie können nur den in Ruhe lassen, der stets bemüht ist, sein Leben neu auszurichten. Der Richter ist ein Wort, dass uns Schrecken einflössen kann. Denn damit verbinden wir stets Fehler, die wir gemacht haben, die wir nun verantworten müssen. Doch geht es hier auch um einen heilenden Aspekt. Christus ist unser Richter. Er möchte unser Leben zurecht bringen. Und das bedeutet, dass unsere Beziehung heil werden sollen, dass Vergabung die Störungen beheben kann, dass wir ganz neu anfangen können miteinander. Und das ist eigentlich ein wunderschöner Aspekt. Wenn  die belastenden Dinge des Lebens nicht mehr auf uns lasten sollen, dann macht es Sinn, dass wir nicht warten und warten, sondern die Zeit nutzen. Bereits jetzt können wir aufeinander zugehen. Und das nicht im kriegerischen oder streitenden Sinne. Vielmehr geht es um eine Öffnung für einander. Da braucht es manchmal Geduld, bis sich die Menschen neu für einander öffnen. Da, wo man sich Verletzungen zugefügt hat, da braucht es oft eine Zeit, bis diese Wunden wieder heilen. Aber das Entscheidende ist, dass wir die Zeit nutzen, um miteinander neu anzufangen.

Nun wird uns ein Vorbild vor Augen gestellt. Es sind die Propheten. Sie haben in ihrer Zeit gesehen, wie das Leben in der Gesellschaft auf Abwege geraten ist. Sie waren am Anfang oft Meschen, die zu schüchtern waren, die sich nicht getraut haben, an die Öffentlichkeit zu gehen. Doch schließlich fühlten sie sich von Gott dazu gezwungen. Und es war nicht leicht, deutlich andere Schritte in der Gesellschaft zu gehen, den Leuten zu sagen: Ihr seid auf Abwegen! Die Propheten wurden oft angefeindet. Man hat sie verspottet. Sie sahen keinen Erfolg ihres Wirkens. Sie konnten nur resignieren oder sie brauchten viel Geduld. Viele von ihnen haben das Resultat ihrer Prophezeiungen nicht mehr mitbekommen. Im Nachhinein zeigte sich, dass sie auf dem richtigen Weg waren. Die Katastrophe brach über dem Volk herein. Propheten brauchten viel Geduld. Und sie hätten gerne gesehen, dass sich die Menschen auf ihre Rede hin verändert hätten. Schließlich haben sie eine Botschaft von Gott gehabt.

Frust und Resignation müssten am Ende stehen. Aber ist das die Botschaft für Advent, für Weihnachten? Lässt uns die Einstimmung zur Geduld ermatten? Das soll hier gerade nicht sein. Und das gilt auch für unsere Zeiten. Ja, wir stehen in nicht einfachen Zeiten. Es gibt zahlreiche Herausforderungen an uns und unser Leben. Und wir verstehen mitunter das Leben und diese Welt, und vielleicht auch Gott, nicht mehr.

Doch da wird uns das Beispiel von  Hiob vor Augen geführt. Hiob hatte einst ein gutes und angenehmes Leben. Doch dann brach so manches Leid über ihn herein. Hiob begann zu hadern mit seinem Gott. Er ließ ihn zwar nie locker, doch er konnte vieles nicht verstehen. Warum lässt Gott das zu? Das ist auch ein  Frage, die wir uns manchmal stellen können. Eine direkte Antwort erfährt Hiob letztlich nie. Aber in seiner Geduld kann er die Zuwendung Gottes erfahren. Gott ist liebevoll und barmherzig. Das möchte uns auch gerade die Botschaft von Weihnachten jedes Jahr deutlich machen. Gott kommt zu uns Menschen. Er möchte uns nahe sein. Mitten in unser Leben hinein möchte er mit uns sein und an uns wirken. Er möchte uns begegnen und unserem Leben neue Akzente geben. Er möchte unser Leben heil machen, damit wir voll Zuversicht unseren Weg gehen können, damit sich etwas verändern kann in unserem Leben.

Geduld brauchen wir immer wieder. Geduld lehrt uns, auf das Entscheidende zu schauen. Und das ist in unseren Zeiten ganz neu nötig. Aber Geduld wird belohnt. Wir dürfen die Liebe Gottes schauen. Wir dürfen erkennen: Wir sind nicht allein in dieser Welt. Gott ist mit uns. Er kommt uns nah. So kann das Warten auf Weihnachten mit Vorfreude verbunden sein: Denn die Botschaft: Christ, der Retter ist da! ist immer wieder wunderbar zu hören, geht es doch um uns, um Dich und mich. Wir sollen und dürfen leben inmitten dieser Welt. Und wir haben eine Zukunft.

Einen gesegneten 2. Advent wünscht Ihnen
Ihr Pfarrer Carsten Klingenberg