06.06.2021 1. Sonntag nach Trinitatis

06.06.2021 1. Sonntag nach Trinitatis

Predigt: Jona 1:1-2:11

1 Es geschah das Wort des HERRN zu Jona, dem Sohn Amittais: 2 Mache dich auf und geh in die große Stadt Ninive und predige wider sie; denn ihre Bosheit ist vor mich gekommen. 3 Aber Jona machte sich auf und wollte vor dem HERRN nach Tarsis fliehen und kam hinab nach Jafo. Und als er ein Schiff fand, das nach Tarsis fahren wollte, gab er Fährgeld und trat hinein, um mit ihnen nach Tarsis zu fahren, weit weg vom HERRN. 4 Da ließ der HERR einen großen Wind aufs Meer kommen, und es erhob sich ein großes Ungewitter auf dem Meer, dass man meinte, das Schiff würde zerbrechen. 5 Und die Schiffsleute fürchteten sich und schrien, ein jeder zu seinem Gott, und warfen die Ladung, die im Schiff war, ins Meer, dass es leichter würde. Aber Jona war hinunter in das Schiff gestiegen, lag und schlief. 6 Da trat zu ihm der Schiffsherr und sprach zu ihm: Was schläfst du? Steh auf, rufe deinen Gott an! Vielleicht wird dieser Gott an uns gedenken, dass wir nicht verderben. 7 Und einer sprach zum andern: Kommt, wir wollen losen, dass wir erfahren, um wessentwillen es uns so übel geht. Und als sie losten, traf's Jona. 8 Da sprachen sie zu ihm: Sage uns, um wessentwillen es uns so übel geht? Was ist dein Gewerbe, und wo kommst du her? Aus welchem Lande bist du, und von welchem Volk bist du? 9 Er sprach zu ihnen: Ich bin ein Hebräer und fürchte den HERRN, den Gott des Himmels, der das Meer und das Trockene gemacht hat. 10 Da fürchteten sich die Leute sehr und sprachen zu ihm: Was hast du da getan? Denn sie wussten, dass er vor dem HERRN floh; denn er hatte es ihnen gesagt. 11 Da sprachen sie zu ihm: Was sollen wir denn mit dir tun, dass das Meer stille werde und von uns ablasse? Denn das Meer ging immer ungestümer. 12 Er sprach zu ihnen: Nehmt mich und werft mich ins Meer, so wird das Meer still werden und von euch ablassen. Denn ich weiß, dass um meinetwillen dies große Ungewitter über euch gekommen ist. 13 Doch die Leute ruderten, dass sie wieder ans Land kämen; aber sie konnten nicht, denn das Meer ging immer ungestümer gegen sie an. 14 Da riefen sie zu dem HERRN und sprachen: Ach, HERR, lass uns nicht verderben um des Lebens dieses Mannes willen und rechne uns nicht unschuldiges Blut zu; denn du, HERR, tust, wie dir's gefällt. 15 Und sie nahmen Jona und warfen ihn ins Meer. Da wurde das Meer still und ließ ab von seinem Wüten. 16 Und die Leute fürchteten den HERRN sehr und brachten dem HERRN Opfer dar und taten Gelübde. 1 Aber der HERR ließ einen großen Fisch kommen, Jona zu verschlingen. Und Jona war im Leibe des Fisches drei Tage und drei Nächte. 2 Und Jona betete zu dem HERRN, seinem Gott, im Leibe des Fisches 3 und sprach: Ich rief zu dem HERRN in meiner Angst, und er antwortete mir. Ich schrie aus dem Rachen des Todes, und du hörtest meine Stimme. 4 Du warfst mich in die Tiefe, mitten ins Meer, dass die Fluten mich umgaben. Alle deine Wogen und Wellen gingen über mich, 5 dass ich dachte, ich wäre von deinen Augen verstoßen, ich würde deinen heiligen Tempel nicht mehr sehen. 6 Wasser umgaben mich bis an die Kehle, die Tiefe umringte mich, Schilf bedeckte mein Haupt. 7 Ich sank hinunter zu der Berge Gründen, der Erde Riegel schlossen sich hinter mir ewiglich. Aber du hast mein Leben aus dem Verderben geführt, HERR, mein Gott! 8 Als meine Seele in mir verzagte, gedachte ich an den HERRN, und mein Gebet kam zu dir in deinen heiligen Tempel. 9 Die sich halten an das Nichtige, verlassen ihre Gnade. 10 Ich aber will mit Dank dir Opfer bringen. Meine Gelübde will ich erfüllen. Hilfe ist bei dem HERRN. 11 Und der HERR sprach zu dem Fisch, und der spie Jona aus ans Land.


Liebe Mitchristinnen und Mitchristen!

Auf der Flucht vor Gott! Das ist ein höchst aktuelles Thema. Und zugleich werden viele Menschen nicht zugeben wollen, dass sie auf der Flucht vor Gott sind. Immer wieder lesen oder hören wir die Meldungen, dass immer mehr Menschen den Kirchen den Rücken zukehren. Viele sagen: Ich kann mit der Botschaft der Kirchen und mit dem christlichen Glauben nichts anfangen. Ich brauche das nicht. Ich kann das nicht mehr nachvollziehen. Das passt nicht zur modernen Zeit. Das sind veraltete Ansichten. Das haben Menschen vor 2000 Jahren so sehen können, aber doch nicht wir heute.
Auf der anderen Seite sagen auch viele Menschen: Ich glaube schon noch, aber mit der Institution Kirche kann ich nichts anfangen. Zugleich stellt sich aber auch die Frage, wie der Glaube überhaupt noch gelebt wird. Zum Glauben gehören eben die Gemeinschaft, das Hören auf Gottes Wort und das Leben nach diesem. Wie bekomme ich das alles hin, wenn ich mich der Gemeinschaft der Gläubigen entziehe?  Steckt das Problem nicht viel tiefer? Geht es nicht um die Frage: Bin ich überhaupt offen für den lebendigen Gott? Soll er überhaupt eine Rolle in meinem Leben spielen?
Auf der Flucht vor Gott! Viele Menschen in unseren Tagen sind auf der Flucht vor Gott. Viele wollen das nicht zugeben und sich auch nicht eingestehen. Doch spätestens dann, wenn sich die tiefgründigen Fragen des Lebens stellen, dann wird es deutlich, worauf ich traue und wie sehr das trägt.

Doch die allgemeine Wegbewegung vom christlichen Glauben darf uns nicht täuschen. Denn auch Christinnen und Christen können auf der Flucht vor Gott sein. Und da gibt es mancherlei Situationen, denen wir uns nicht stellen wollen, wo wir uns nicht darauf einlassen wollen. Es könnte ja sein, dass ich etwas in meinem Leben verändern muss, dass ich spüre, so kann es eigentlich nicht weitergehen. Aber ich möchte bei meinen alten Gewohnheiten, bei meinem Lebensstil bleiben. Zu gerne bleiben wir bei dem stehen, was uns vertraut ist, was wir kennen, selbst wenn wir wissen, dass es uns auf Dauer nicht gut tut. Die Trägheit von uns Menschen nimmt oft großen Raum ein. Und so merken wir gar nicht, dass wir auf der Flucht vor Gott sind.

Heute haben wir eine vertraute und so anschauliche Geschichte vor Augen. Der Prophet Jona ist auch so ein Mensch, der auf der Flucht vor Gott ist. Dabei finde ich einen Punkt sehr bemerkenswert: Gott baut auf einen Mann, der uns auf den ersten Blick als Versager erscheint. Das macht Gott offenbar gar nichts aus. Das kann aber zugleich bedeuten: Gott baut auch auf mich und Dich. Und selbst, wenn wir uns als nicht geeignet sehen, wenn wir zu versagen scheinen, dann sind wir dennoch in Gottes Blick. Gerade unter den alttestamentlichen Propheten begegnen uns einige, die im ersten Moment ausbrechen wollen, die sagen, dass der Auftrag Gottes nichts für sie ist. Und dazu gehört auch Jona.

Auf der Flucht vor Gott! So begegnet uns Jona. Von Gott hat er einen Auftrag bekommen. Welch eine Anerkennung, welch eine Würde ist das, doch Jona wird es zur Bürde. Er hat Angst. Er schreckt zurück. Und das können wir nachvollziehen. Jona soll in die große und mächtige Stadt Ninive ziehen und dort den Menschen zurufen, dass sie auf dem falschen Weg sind, dass sie umkehren sollen, dass sie ihren Sinn, ihre Einstellung, ihren Lebensstil ändern sollen. Sage das mal heute einem Menschen: Du bist auf dem falschen Weg! Ändere Dein Leben! Auch da spüren wir, was in Jona vor sich geht. Er hat Angst. Und diese Angst treibt ihn in die Flucht. Er hat Sorge, dass die Bevölkerung von Ninive über ihn herfallen wird. Und deshalb flieht Jona lieber vor Gott. Er möchte dem göttlichen Auftrag und der göttlichen Bestimmung auskommen.

Auf der Flucht vor Gott! Jona geht zum nächsten Hafen. Er sucht ein Schiff, das möglichst weit wegfährt. Ans andere Ende des Mittelmeeres soll die Fahrt gehen, dorthin, wo wir heute Spanien verorten. Nichts wie weg! Das ist der einzige Gedanke, der Jona bestimmt. Nichts wie weg! Das sagen auch wir uns immer wieder! Und so geht es uns mitunter auch, wenn wir an Gott denken. Gottes Wege sind manchmal andere als die unseren. Wir sehnen uns so sehr nach Freiheit und Unabhängigkeit, dass wir den Weg in die Freiheit als Belastung, als Unannehmlichkeit sehen. Doch da übersehen wir, was Gott uns wirklich schenken möchte.

Jona will ans andere Ende des Meeres. Aber da hat er wohl seinen Psalm 139 nicht im Kopf gehabt. „Nähme ich Flügel der Morgenröte und bliebe am äußersten Meer, so würde auch dort deine Hand mich führen und deine Rechte mich halten.“ Jona, Du kommst Gott nicht aus! Und das müssen auch wir uns sagen lassen: Wir kommen Gott nicht aus. Und wenn wir noch so viel auf der Flucht sind, so wird uns Gott nicht verlassen.

Auf der Flucht vor Gott – aber wir kommen ihm doch nicht aus! Das ist der zweite Gesichtspunkt, der uns in der Jonageschichte begegnet. Auf unseren eigenen, selbst ausgedachten Wegen geraten wir doch immer wieder in Stürme. Das Leben kann ganz schön durchgerüttelt werden. Wenn wir mit Gott, unseren Mitmenschen und mit uns selbst nicht im Reinen sind, dann erwischt das uns ganz unverhofft. Und dann beginnt das Leben mit uns Achterbahn zu fahren.

Jona muss das erleben. Mitten auf dem Meer bricht ein schwerer Sturm los. Es ist nicht nur ein gewaltiges Wetterereignis. Es entpuppt sich auch als eine deutliche Lebenskrise bei Jona. Während die anderen Menschen auf dem Schiff nach Rettung suchen und ihre Götter anrufen, verzieht er sich ins unterste Deck des Schiffes. Mit Gott will ich nichts zu tun haben! So denkt Jona. Und dennoch kommt er nicht aus. Ausgerechnet der heidnische Kapitän des Schiffes muss Jona an seinen Gott erinnern und ihn auffordern, zu ihm zu beten.

Letztlich wird wieder deutlich: Jona ist auf der Flucht vor Gott – doch er kommt ihm nicht aus. Und nun geht Jona auch in sich. Er bekennt, dass er schuldig ist. Sein unaufgeräumtes Leben strahlt auf die anderen aus. Wegen ihm haben die anderen zu leiden. Und das kennen wir auch: Wenn wir mit Gott, mit anderen oder mit uns selbst nicht im Reinen sind, dann kann darunter auch unsere Umwelt leiden, dann spüren die anderen, wie es in uns brodelt.

Jona hat ein Einsehen. Er will die anderen auf dem Schiff nicht mehr weiter belasten. Sollen sie ihn doch über Bord werfen. Dann sind sie das Problem los. Doch wieder sind es die Heiden, die das nicht machen wollen, die Respekt haben und noch um eine andere Lösung ringen. Erst als sie keine Chance mehr sehen, stimmen sie ein, dass Jona über Bord muss.

Jona ist auf der Flucht vor Gott. Doch wie es im Psalm 139 zum Ausdruck kommt, fällt er Gott geradezu in die Arme. Jona kann Gott nicht entfliehen. Wir können Gott nicht davonlaufen. Er ist der Schöpfer, der Herr des Lebens. Er lässt uns nicht los. Und das ist keine Bedrohung. Das ist keine Eingrenzung. Das bedeutet nicht, dass er uns zu Sklaven machen möchte. Gerade im Gegenteil! Auf der Flucht vor Gott können wir in Gottes liebende und bewahrende Arme fallen.

Ein großer Fisch schnappt Jona auf. Was eigentlich der Rachen des Todes ist, wird für Jona zum Tor zum Leben. Hier im Fisch findet er Ruhe vor dem Sturm. Hier im Fisch beginnt Jona einen Gottesdienst. Dort, wo auf den ersten Blick eigentlich alles aus scheint, dort beginnt etwas Neues. Jona betet einen Psalm. Er betet zu Gott. Aufgebrochen war er, um vor Gott zu fliehen. Nun flieht er zu Gott. Bei ihm sieht er seine einzige Rettung. In Gott sieht er seinen Retter und Beschützer. Hier findet er zu einem neuen Leben.

Auch uns geht es manchmal wie Jona. Da meinten wir vor Gott fliehen zu können, selber zurecht zu kommen, nicht auf Gottes Wegweisungen hören zu wollen und dann drohen wir in den Stürmen unseres Lebens unterzugehen. Doch Gott ist parat. Er fängt uns auf. Er nimmt uns erst einmal heraus aus dem Sturm und führt uns in die Stille, in die Stille vor Gott.
Und am Ende spuckt der Fisch den Jona aus. Jona findet sich am Strand wieder. Die Flucht vor Gott hat nichts gebracht. Aber er kann wieder aufstehen und den Weg gehen.

Drei Tage ist Jona im Bauch des Fisches gewesen. Und auch drei Tage ist Jesus im Grab gewesen. Die Wege von Jona und Jesus haben Parallelen. Und doch unterscheiden sie sich grundlegend. Denn Jesus ist den Weg anders gegangen. Er war nicht auf der Flucht. Er hat sich dem Auftrag gestellt. Und auch sein Weg führte in Turbulenzen und Stürme. Dabei ist Jesus ganz ruhig geblieben. Während Menschen durch alle Zeiten um ihr Leben bangen, in ihren Sorgen und Nöten untergehen zu drohen, ging Jesus den Weg bis in den Tod am Kreuz. Er hat nicht versucht, auszubrechen. Er hat sich von Anfang an dem Vater anvertraut. So hat ihn das Grab aufgenommen. Er hat die Zeit genutzt und den Menschen im Reich des Todes das Evangelium verkündet. Und nach drei Tagen hat ihn das Grab wieder freigegeben. Er ist auferstanden.

Das alte Leben der Sorgen und Nöte, das alte Leben der Belastungen und der Schuld, das hat ein Ende gefunden. Befreit zu einem neuen Leben, das aufschauen kann, das den Menschen die Botschaft des Lebens bringen will, gibt es eine Zukunft für uns. Die Menschen in Ninive haben erkannt, dass sie ihr Leben ändern müssen. Die Predigt des Jona hat ihr Leben verändert. Und die Botschaft von Jesus, das Evangelium will auch heute Leben verändern.

Auf der Flucht vor Gott können wir nur Angst haben, weil uns der Halt und die Perspektive fürs Leben fehlen. Auf der Flucht vor Gott können wir nur feststellen, dass wir Gott nicht auskommen. Aber das engt uns nicht ein. Auf der Flucht vor Gott können wir nur in Gottes Arme fliehen, weil wir bei ihm Ruhe vor den Stürmen des Lebens finden.

Das können wir jeden Sonntag neu erleben. Mit den Stürmen und den Turbulenzen der alten Woche kommen wir in den Gottesdienst, finden zur Ruhe bei Gott und werden gestärkt für den Weg durch die  neue Woche wieder entlassen. So können wir bestehen, wenn wir nicht vor Gott fliehen, sondern uns immer wieder neu ganz bewusst ihm anvertrauen.

Ihr Pfarrer Carsten Klingenberg