05.04.2021 Ostermontag

05.04.2021 Ostermontag

 

Predigt: Offenbarung 5:6-14

6 Und ich sah mitten zwischen dem Thron und den vier Wesen und mitten unter den Ältesten ein Lamm stehen, wie geschlachtet; es hatte sieben Hörner und sieben Augen, das sind die sieben Geister Gottes, gesandt in alle Lande. 7 Und es kam und nahm das Buch aus der rechten Hand dessen, der auf dem Thron saß. 8 Und als es das Buch nahm, da fielen die vier Wesen und die vierundzwanzig Ältesten nieder vor dem Lamm, und ein jeder hatte eine Harfe und goldene Schalen voll Räucherwerk, das sind die Gebete der Heiligen, 9 und sie sangen ein neues Lied: Du bist würdig, zu nehmen das Buch und aufzutun seine Siegel; denn du bist geschlachtet und hast mit deinem Blut Menschen für Gott erkauft aus allen Stämmen und Sprachen und Völkern und Nationen 10 und hast sie unserm Gott zu einem Königreich und zu Priestern gemacht, und sie werden herrschen auf Erden. 11 Und ich sah, und ich hörte eine Stimme vieler Engel um den Thron und um die Wesen und um die Ältesten her, und ihre Zahl war zehntausendmal zehntausend und vieltausendmal tausend; 12 die sprachen mit großer Stimme: Das Lamm, das geschlachtet ist, ist würdig, zu nehmen Kraft und Reichtum und Weisheit und Stärke und Ehre und Preis und Lob. 13 Und jedes Geschöpf, das im Himmel ist und auf Erden und unter der Erde und auf dem Meer und alles, was darin ist, hörte ich sagen: Dem, der auf dem Thron sitzt, und dem Lamm sei Lob und Ehre und Preis und Gewalt von Ewigkeit zu Ewigkeit! 14 Und die vier Wesen sprachen: Amen! Und die Ältesten fielen nieder und beteten an.

Liebe Mitchristinnen und Mitchristen!

Eine andere Welt ist das! Befremdlich! Was haben wir uns darunter vorzustellen? Was wollen diese Worte uns sagen? Was hat das mit Ostern zu tun? Da ist alles anders, als wir es uns vorstellen und erwarten. Die bilderreiche Sprache erscheint uns im ersten Moment fremd. Und wir fragen uns, was das mit uns und unserem Leben zu tun hat. Irgendwie wirkt alles so fern für uns. So wundern wir uns im ersten Moment.

Johannes hat aufgeschrieben, was er in einer grandiosen Vision gesehen hat. Wir werden in einen königlichen Thronsaal geführt. Dort ist gerade eine große Audienz. Der ganze Hofstaat ist versammelt. Wie in alten Zeiten geht es zu. Wir denken da vielleicht an das Mittelalter und die Höfe der Herrschenden in jener Zeit. Nur ist dieser Thronsaal mit all dem Geschehen irgendwie aus einer anderen Welt. Da geht es fast zu brillant zu. Es herrscht ausgelassene Stimmung. Ein großer Lobpreis ertönt für den Herrscher und ein mysteriöses Lamm. Irgendwie hören wir diese Worte mit einer eigentümlichen Spannung. Auf der einen Seite klingt alles faszinierend, auf der anderen Seite fragen wir uns, was das alles soll. Es ist eben eine andere Welt. Und wie kommt das mit unserer Lebenswirklichkeit zusammen?

An Ostern sind die Gottesdienste wieder ganz anders als in der Passionszeit. An Ostern hören wir fröhliche Lieder. Da ist von Triumph die Rede. Da wird begeistert gefeiert. Und wenn wir an Ostern denken, dann haben wir den Jubel, die Ausgelassenheit und die Freude vor Augen. Doch da kommen manche Menschen in diesen Tagen ins Stocken. Da kann ich nicht mit einstimmen, sagen sie. Was bringt mir die Freude von Ostern, wenn es mir gerade gar nicht gut geht? Wenn meine Stimmung im Keller ist, kann ich doch nicht einfach auf Knopfdruck losjubeln!

Und das macht uns deutlich, dass wir noch einmal genauer hinschauen müssen. Der Ostermontag ist mit dem Evangelium von den Emmausjüngern verbunden. Und da werden uns zwei Freunde von Jesus vor Augen geführt, die am Ostermorgen alles andere als begeistert sind. Sie hatten in Jerusalem miterlebt, dass Jesus gestorben ist. Das Kreuz hat alle ihre Hoffnungen durchkreuzt. Resigniert und frustriert, orientierungslos und perspektivlos gehen sie nach Hause, nach Emmaus. Alles ist aus! Alle Begeisterung für Jesus ist erloschen. Er ist tot. Was kann uns noch helfen?

Das ist nüchterne Realität in dieser Welt. Auch an Ostern, auch mit der Osterbotschaft kann uns Hartes treffen. Und dann können wir nicht einfach fröhlich sein. Dann müssen wir den Atem anhalten. Dann steht mitunter das Leben still.

Die Emmausjünger sind gefangen von den betrüblichen Gedanken. Sie können gar nicht über ihren Tellerrand blicken. Da gibt es keine weiteren Aspekte, die sie auf andere Gedanken bringen könnten. Doch dann gesellt sich mit einem Mal jemand zu ihnen, begleitet sie auf ihrem Weg. Anfangs merken sie es noch gar nicht so recht. Dann spüren sie aber, dass da jemand bei ihnen ist, auf sie eingeht, mit ihnen redet. Und sie merken, dass ihnen das gut tut. Es ist schön, wenn man auf schwierigen Wegstrecken begleitet wird. Und so öffnen sich langsam ihre Augen und Gedanken wieder für andere Aspekte. Sie beginnen zu verstehen. Und schließlich, als sie in Emmaus angekommen sind, da haben sie das innige Bedürfnis, dass ihr Begleiter mit in ihr Haus kommt. Was ist, wenn der Auferstandene in mein Haus tritt, in das Haus meines Lebens? Das ist hier die spannende Frage. Doch wir haben gesehen, dass das nicht so unvermittelt geschieht. Es braucht eine Wegstrecke, einen Weg der Begleitung.

Und damit sind wir mitten in unserem Leben. Wenn sich etwas ereignet, was uns trifft und uns betroffen macht, dann braucht es auch Zeit, bis sich unsere Gedanken wieder weiten, bis sich das Leben wieder aufhellt.

Und genau das geschieht auch hier im Buch der Offenbarung. Wir stehen mittlerweile in einer nicht ganz einfachen Zeit. Im Mittelmeerraum gibt es überall christliche Gemeinden. Doch diese Gemeinden, diese Christinnen und Christen haben es nicht unbedingt leicht. Es kommt zu Konflikten mit den anderen Menschen und mit dem Staat. Christen sind so eigentümlich. Sie machen nicht bei allem mit. Sie verhalten sich anders. Und sie halten sich auch vom Staatskult fern. Sind sie vielleicht sogar Staatsfeinde? Zersetzen Sie den Staat mit ihren Ansichten? Es kommt zu Anfeindungen und Verfolgungen. Johannes selber ist auf die Insel Patmos verbannt. Und er schreibt von dort aus an die Gemeinden auf dem Festland. Er schreibt seine großartigen Visionen und Auditionen nieder. Er hat eine Begegnung mit dem Auferstandenen, der ihm Zuversicht und Mut zuspricht. Und dies soll er in einem Trostbuch weitergeben an die Gemeinden.

Nun ist es aber wie schon gesagt nicht ungefährlich, christliche Botschaften klar und deutlich zu vermitteln. Deshalb schreibt er die Botschaft in Bildern. Das ganze Buch wirkt verschlüsselt, mit einem Code versehen, so dass es nicht jeder gleich verstehen kann. Und doch war es für die christlichen Gemeinden damals sehr wohl verständlich. Diese Bildsprache greift auf Altbekanntes zurück. Das Neue Testament war noch nicht so vorhanden, wie wir es heute kennen. Die Christinnen  und Christen hatten vor allem das Alte Testament in Händen. Und auf dieses Alte Testament greift die Offenbarung ganz entschieden zurück. Allein in unserem heutigen Abschnitt finden sich Anspielungen auf die Tempelgottesdienste aus den Büchern Mose, sowie auf die Berufungsgeschichten von Jesaja und Hesekiel. Das lässt sich alles dekodieren. Und wir finden in ein zusammenhängendes Denken hinein.

Aber was will uns das alles sagen? Wie kann das uns helfen? Wenn wir durch schwere Zeiten gehen, wenn wir uns fragen, wie es weiter gehen soll, wenn wir eben nicht in den österlichen Jubel so ohne Weiteres einstimmen können, dann stellt sich eine mitunter beißende Frage: Wo ist Gott? Warum steht er mir nicht bei? Warum spüre ich nichts von der Osterbotschaft in meinem Leben?

Und da hören wir heute eine bemerkenswerte Antwort: Hier ist Gott! Hier im himmlischen Thronsaal, da ist die Welt scheinbar schon in Ordnung. Hier wird das neue Lied gesungen, das Lied der Freude, des Lobpreises, der Anbetung. Hier ist heile Welt. Und wir nehmen Teil an einer Inthronisation. Das Lamm empfängt die Buchrolle, die Insignien der Macht. Das Lamm ist eingesetzt zum Herren über diese Welt. Und der ganze Hofstaat stimmt in ein Loblied ein. Das Lamm ist würdig, zu nehmen Kraft und Reichtum und Weisheit und Stärke und Ehre und Preis und Lob.

Eine andere Welt! Wenn wir das so hören, dann scheint das alles weit weg zu sein von dieser Welt, in der wir stehen. Egal, ob wir heute in unserer Zeit leben oder ob es die Christinnen und Christen damals waren, wir haben den Eindruck: Da gibt es eine unüberbrückbare Linie zwischen dieser Welt und der Welt, die in der Offenbarung beschrieben wird.

Doch: Halt! Was war da mit dem Lamm? Das klingt doch gar nicht so sehr nach perfektem Jubel. Da heißt es: „Das Lamm, das geschlachtet ist.“ Und mit einem Mal treten wieder die Ereignisse von Karfreitag in den Blick. Da ist er wieder, der verwundete und geschundene Jesus, der am Kreuz hängt. Da sind sie wieder die Wundmale. Was haben sie in dieser wundersamen Welt zu suchen, wo alles nur so zu glänzen scheint? Das verwundete Lamm zeigt uns, dass diese Welt, in der wir leben, eben noch nicht perfekt ist. Und damit kommt auch die Verbindung zwischen dieser glänzenden Welt im Thronsaal Gottes und unserer verletzten Welt zum Ausdruck.

Bei allem österlichen Jubel bleiben die Wunden und Verletzungen, die tragischen und scheinbar ausweglosen Momente dieser Welt nicht außer Acht. Es ist immer noch eine Wegstrecke, eine Wegstrecke mit ihren traurigen Seiten, die zu gehen ist. Aber auf diesem Weg durch die Zeit ist der lebendige Gott, ist der Auferstandene nicht fern von uns. Er geht mit. Er begleitet uns. Und er öffnet uns die Augen für die Verheißungen Gottes, für die Verheißungen der Schrift. Er möchte uns führen vom alten Lied der Verbitterung, der Trauer, der Bedrängnis, des Scheiterns, der Krankheit und vielem mehr hin zu einem Lied des Lobpreises, der Begeisterung.

Und deshalb ist es auch schön und gut, wenn wir uns immer wieder auch herausnehmen lassen aus den betrüblichen Lagen unseres Lebens und uns schon hier und jetzt, in dieser Welt hineinnehmen lassen in die himmlischen Sphären. Der Gottesdienst am Sonntag, der Gottesdienst am Tag des Herrn – und jeder Sonntag möchte ein kleines Ostern sein – führt uns in die Anbetung und den Lobpreis, in den Thronsaal der Gegenwart Gottes. Wir werden gestärkt durch die Botschaft, das Evangelium für unseren Weg durch die Niederungen des Alltages. Und wir dürfen hinter die Kulissen schauen und bereits sehen: Der Auferstandene regiert. Mag in dieser Welt vieles nicht funktionieren, mag uns hier manches bedrücken und uns das Leben schwer machen, wir dürfen zugleich sehen, dass das alles nicht das letzte Wort hat. Und da gilt besonders die Ermutigung: Lasst uns immer wieder hineintreten in den Thronsaal Gottes! Lasst uns teilnehmen an der göttlichen Audienz! Hier begegnen wir der göttlichen Vollkommenheit. Das Lamm oder vielleicht auch dieser kleine Widder hat sieben Hörner als Zeichen der vollkommenen Macht und sieben Augen als Zeichen für den vollkommenen Durchblick. Und wir, die wir uns zu dem Lamm, zu Christus halten, sind freigekauft. Wir dürfen Anteil haben an dieser neuen Perspektive.

Mag sein, dass uns in unseren demokratischen Zeiten das so hierarchische Bild des göttlichen Thronsaals fremd erscheint, aber den Christinnen und Christen damals war klar: Der große und lebendige Gott ist Herrscher über die ganze Welt. Deshalb lasst uns ihm unser Leben hingeben durch die Anbetung, durch das Lob. Und das kann uns auch heute noch sehr ermutigen und aufbauen, wenn wir uns im Gebet und Lobpreis Gott zuwenden. Denn dann sehen wir die Welt mit anderen Augen. Wir wissen, dass einer bereits gesiegt hat. Und wir können die Wunden dieser Welt so in den Blick nehmen, dass wir zu ihrer Heilung beitragen. Das neue Leben soll immer wieder mitten unter uns aufleuchten.

Die Freunde Jesu aus Emmaus hatten den Auferstandenen in ihr Haus gelassen, in das Haus ihres Lebens. Sie saßen am Abend mit ihm am Tisch. Und er teilte das Brot. Er teilte das Leben. Er teilte ein Stück vom neuen Lied des Lebens. Und so wurden die verwundeten Seelen dieser beiden Jünger heil.

Johannes hat diese ungewöhnliche, andere Sicht zum Trost und zur Ermutigung seinen Gemeinden in Kleinasien weitergegeben. Und er gibt diese Botschaft auch uns weiter, damit wir erkennen: Jesus lebt, mit ihm auch ich.

Ihr Pfarrer Carsten Klingenberg