04.04.2021 Osternacht

04.04.2021 Osternacht



Predigt: Matthäus 28:1-10

1 Als aber der Sabbat vorüber war und der erste Tag der Woche anbrach, kamen Maria Magdalena und die andere Maria, um nach dem Grab zu sehen. 2 Und siehe, es geschah ein großes Erdbeben. Denn ein Engel des Herrn kam vom Himmel herab, trat hinzu und wälzte den Stein weg und setzte sich darauf. 3 Seine Erscheinung war wie der Blitz und sein Gewand weiß wie der Schnee. 4 Die Wachen aber erbebten aus Furcht vor ihm und wurden, als wären sie tot. 5 Aber der Engel sprach zu den Frauen: Fürchtet euch nicht! Ich weiß, dass ihr Jesus, den Gekreuzigten, sucht. 6 Er ist nicht hier; er ist auferstanden, wie er gesagt hat. Kommt und seht die Stätte, wo er gelegen hat; 7 und geht eilends hin und sagt seinen Jüngern: Er ist auferstanden von den Toten. Und siehe, er geht vor euch hin nach Galiläa; da werdet ihr ihn sehen. Siehe, ich habe es euch gesagt. 8 Und sie gingen eilends weg vom Grab mit Furcht und großer Freude und liefen, um es seinen Jüngern zu verkündigen. 9 Und siehe, da begegnete ihnen Jesus und sprach: Seid gegrüßt! Und sie traten zu ihm und umfassten seine Füße und fielen vor ihm nieder. 10 Da sprach Jesus zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Geht hin und verkündigt es meinen Brüdern, dass sie nach Galiläa gehen: Dort werden sie mich sehen.

Liebe Mitchristinnen und Mitchristen!

Dunkelheit umgibt zwei Frauen, die sich aufgemacht haben. Es ist nicht nur die äußere Dunkelheit der Nacht, die die Frauen umschließt. Es ist auch die Dunkelheit des Todes, die die Herzen der Frauen erfüllt hat. Das Licht des Lebens ist erloschen. Der Karfreitag hatte jede Hoffnung auf ein anderes Leben verstummen lassen. Das Kreuz sprach eine unmissverständliche Sprache. Der Tod schien gesiegt zu haben.

Jesus, der Meister, der so anders war, der dem Leben einen ganz neuen Sinn gegeben hatte, der neue Gemeinschaft geschenkt hatte, er war gestorben, dort oben am Kreuz. Sie hatten es gesehen, die Frauen. Sie hatten mitbekommen, dass er vom Kreuz abgenommen wurde. Sie hatten erfahren, wohin man den Leichnam gebracht hatte. Sie wussten um das Grab.

Grabesstille erfüllte jenen Beginn des neuen Tages, an dem sich die Frauen aufgemacht hatten. Grabesstille erfüllt auch Menschen heute, auch uns, wenn für uns eine Welt zusammengebrochen ist. Da haben wir unsere Träume gehabt. Da haben wir Visionen für die Zukunft in uns getragen. Da haben wir mit anderen Menschen an einer besseren Zukunft gebaut. Und dann gab es einen gravierenden Einschnitt. Ein dramatisches Ereignis hat alles auf den Kopf gestellt. Eine Nachricht lässt innehalten. Ein Streit lässt alle Träume platzen. Eine Krise zerstört die Basis für alle weiteren Planungen. Wir können uns so vieles ausmalen. Wenn wir Menschen den Blick für die Zukunft verlieren, dann ist es mit einem Mal dunkel in und um uns. Wohin sollen wir dann noch gehen?

Die beiden Frauen haben sich aufgemacht. Doch dieser Aufbruch war kein entschlossenes Angehen von neuen Aufgaben. Das kam in diesem Moment für die Frauen gar nicht in Frage. Der Anblick des Kreuzes hatte ihr ganzes Leben und ihre Sicht für die Zukunft durchkreuzt. Was sollten sie jetzt noch tun? Wohin sollten sie gehen? Es gab eigentlich nur ein Ziel, das sie vor Augen hatten: Der Friedhof, das Grab, dorthin führte sie der Weg an diesem Morgen. Es war ein bitterer Weg. Es war ein schmerzvoller Weg, ein Weg voller Leid und Trauer. Abschiednehmen, das war der einzige Sinn ihres Lebens an diesem anbrechenden Tag. Der sehnsüchtig rückwärtsgewandte Blick auf die guten alten Zeiten bestimmte ihr Denken. Wenn sie überhaupt noch Gedanken fassen konnten, so waren es eben diese nun schmerzvollen Erinnerungen an die Zeiten, als Jesus noch mitten unter ihnen war.

Und so ist es auch heute, wenn Menschen Abschied nehmen müssen von einem lieben Mitmenschen, mit dem sie so viel erlebt haben und verbinden. Da wird bewusst, dass es niemals mehr so werden wird, wie es einmal gewesen ist. Die Endgültigkeit des Todes bricht leidvoll ins Leben hinein. Es bleibt nur noch der Weg zum Friedhof. Dort ist der Ort, an dem man den lieben Mitmenschen verorten kann. Dort ist der Ort des Gedenkens und der Erinnerungen. Dort kann man dem vertrauten Menschen noch einmal räumlich nah kommen. Und dennoch bleibt nur die Finsternis der Trauer. Die Trauer versperrt den Blick für die Zukunft. Sie lässt nur um das kreisen, was nicht mehr sein kann. Es fehlt die Perspektive.

Die beiden Frauen am Ostermorgen werden in ihrer Trauer durchgeschüttelt. Es geschieht ein Erdbeben. Und das ist vor allem auch ein Erdbeben ihrer Gedanken, ihrer Wahrnehmung an diesem Morgen. Auf dem Weg zum Friedhof, auf dem Weg zum Grab gestaltet sich einiges anders, als sie es vermutet hatten. Die Wächter des Todes werden selber wie tot. Ihre Aufgabe hat auf ein Mal keinen Sinn mehr. Denn da ist etwas geschehen, das alles umwälzt. Ein Bote begegnet den Frauen und er hat eine andere Botschaft für die Frauen, als die, die sie erwartet haben. In die Trauer der Frauen tritt eine Botschaft, die nicht zu ihrer Situation zu passen scheint. Sie wälzt das ganze innere Gefüge um. Plötzlich ist dort Licht, wo das Dunkel hätte sein sollen. Aber das kann doch gar nicht sein! Das geht doch nicht! Mit dem Tod lässt sich doch nicht verhandeln. Der Tod kennt doch kein Pardon.

Und doch! Ist es nicht auch an unseren Friedhöfen so? Da kommen die Menschen zu einer Trauerfeier, weil sie einen Menschen hergeben müssen. Sie sind voll Trauer. Sie sind von Schmerz erfüllt, weil es keinen Ausweg gibt. Und dann, dann steht da – zumindest bei einer christlichen Trauerfeier – ein Mensch, der eine andere Botschaft hat als die der Gräber.

Hier prallen zwei Welten aufeinander: Trauer und Geborgenheit, Tod und neues Leben. „Fürchtet Euch nicht!“ Es sind Worte des Lebens, die der Bote Gottes, der Engel zuspricht. „Fürchtet Euch nicht!“ Dieser Aufruf, dieser Auftrag, diese Ermutigung besagt doch nichts anders als: Ihr dürft Euch geborgen wissen. Habt keine Angst! Die Schrecken des Todes sind verflogen. Das klingt leicht gesagt. Doch für viele Menschen ist das auch nicht gleich zu fassen. Hinzu kommt die Botschaft, die sich anschließt: „Der, den ihr sucht, der ist nicht hier.“ Ich stelle mir vor, dass das jemand zu mir sagen würde, wenn ich auf dem Friedhof ein Grab von einem lieben und vertrauten Menschen besuchen möchte. Welche Gedanken kommen einem dann? Hat da jemand das Grab geplündert? Den Leichnam geklaut? Aber dazu waren ja damals die Soldaten gedacht. Es war vorgesorgt, dass niemand klauen kann.

Der Engel sagt zu den Frauen, dass Jesus auferstanden ist. Das ist doch unfassbar. Das geht doch gar nicht. Aber der Bote Gottes lädt die Frauen dazu ein, sich das Grab anzuschauen. „Kommt und seht!“ Diese Worte sind nun entscheidend. Nicht nur damals, sondern auch heute weisen diese Worte auf den Kern der Situation. Es ist ein Wendepunkt. Es ist eine neue Blickrichtung gefragt. Der Engel schickt die Frauen daraufhin weg. Sie sollen den Friedhof wieder verlassen. Dieser Richtungswechsel  ist die Therapie für unser Leben. Wenn wir gefangen sind von den finsteren Gedanken der erschütternden Umstände unseres Lebens, dann können wir nur noch in eine Richtung schauen. Es ist der Blick auf das, was zerbrochen ist. Der Bote am Ostermorgen weist die Frauen in eine andere Richtung. Es ist die Kehrtwende weg von den Stätten des Todes zurück ins Leben. Die eigentümliche Richtungsangabe: „Geht nach Galiläa!“ meint nichts anderes als: „Geht zurück in Euren Alltag!“ Dort, in Eurem Leben, auf dem Weg durch die Zeit wird Euch der Auferstandene immer wieder begegnen.

Wenn wir von unseren Trauerfeiern zurückkehren in unser tägliches Leben, dann begegnen auch wir den Menschen, die mit dem Verstorbenen verbunden waren. Und an den verschiedenen Punkten des Alltages erinnern wir uns an den Menschen, von dem wir Abschied nehmen mussten. Er wird mitten unter uns wieder lebendig, wenn wir daran denken, was er getan und gesagt hat, wie er sich verhalten hat. Wir lassen ihn wieder lebendig werden, wenn wir von ihm erzählen.

Doch bei Jesus ist es noch ein Stück anders. Er begegnet den Frauen unterwegs als der Auferstandene. Und auch er hat Worte des Lebens für sie: „Seid gegrüßt!“ und „Fürchtet Euch nicht!“ Es sind Worte, die die Frauen in ihrer Trauer ernst nehmen, die sie auf ihrem Weg in die neue Richtung neu beleben wollen. Und so ist diese Erfahrung der Begegnung mit dem Auferstandenen der Durchbruch auf dem Weg zurück in das vertraute Leben.

Vom Friedhof waren die beiden Frauen mit gemischten Gefühlen weggegangen. Furcht und große Freude waren es. Die Botschaft von Ostern braucht eine Wegstrecke. Sie benötigt die innere Öffnung durch die Begegnung mit dem Auferstandenen. Aber dann befähigt sie auch zu dem, was den Frauen aufgetragen wurde. Sie sollen verkündigen. Sie sollen und dürfen die Botschaft des Lebens austeilen, verbreiten, mitteilen, damit auch andere die frohe Kunde erhalten, dass der Tod nicht mehr das letzte Wort hat.

„Der Herr ist auferstanden! Er ist wahrhaftig auferstanden!“ Der Osterruf der Christenheit verbreitet die frohe Kunde. Und er möchte auch uns Menschen unserer Tage erreichen. Denn er möchte uns verwandeln. Auch wir brauchen diesen Richtungswechsel, den die Frauen vollzogen haben. Die Trauer über den Verlust eines lieben Menschen, aber auch die Trauer über die Grenzen unseres Lebens will überwunden werden. Die Osterbotschaft will uns in eine neue Richtung blicken lassen. Oft braucht es eine Wegstrecke. Diese gehen wir mit gemischten Gefühlen. Deshalb sprechen wir Christen auch von einer Trauerfeier. Denn auf dem Weg der Richtungsänderung und Verarbeitung von dem Tragischen und der neuen Botschaft des Lebens tragen wir mitunter noch gemischte Gefühle in uns. Aber der Auferstandene möchte uns begegnen und bei der Hand nehmen. Er möchte uns Geborgenheit und Frieden schenken. Und er möchte uns in eine neue Gemeinschaft führen. In Galiläa treffen die Frauen auf die Gemeinschaft der Freunde Jesu. Und sie verkündigen ihnen das Leben. Miteinander können sie und dürfen wir feiern: Der Tod hat nicht das letzte Wort! Der Herr ist auferstanden!

Ihr Pfarrer Carsten Klingenberg