02.05.2021 Cantate

02.05.2021 Cantate



Predigt: Lukas 19:37-40 LÜ

37 Und als er schon nahe am Abhang des Ölbergs war, fing die ganze Menge der Jünger an, mit Freuden Gott zu loben mit lauter Stimme über alle Taten, die sie gesehen hatten, 38 und sprachen: Gelobt sei, der da kommt, der König, in dem Namen des Herrn! Friede sei im Himmel und Ehre in der Höhe! 39 Und einige von den Pharisäern in der Menge sprachen zu ihm: Meister, weise doch deine Jünger zurecht! 40 Er antwortete und sprach: Ich sage euch: Wenn diese schweigen werden, so werden die Steine schreien.

Liebe Mitchristinnen und Mitchristen!

Singen gehört zu unserem Leben! Auch wenn manche Menschen nicht gerne selber singen, so hören doch ganz viele Musik. Und dazu gehört das Singen ganz zentral mit dazu. Singen drückt in der Regel Heiterkeit und Fröhlichkeit aus. Natürlich gibt es auch Trauerlieder. Aber vor allem spiegeln die Lieder die Herzensstimmung wider. Sie zeigen mitunter, wie es einem geht.

Der Sonntag Cantate gehört zur österlichen Freudenzeit. So gehört er zu den ganz besonders fröhlichen Sonntagen des Kirchenjahres. Und so ruft er uns dazu auf, in den frohen Lobgesang einzustimmen. An Cantate wird dieser Aufruf in vielen Gemeinden dadurch unterstrichen, dass ein Chor singt oder zusätzliche Musik den Gottesdienst ausschmückt. Doch in diesem Jahr ist uns eine Bremse angeordnet. Das Singen ist in den Gottesdiensten grundsätzlich verboten wegen der Aerosole. Wenn jemand singen darf, dann sind es höchstens Einzelpersonen, die an einer gesonderten Stelle der Kirche stehen.

Doch da stellt sich nun die Frage: Ist damit die Stimmung im Keller? Wenn Singen derart eingeschränkt ist, macht dann ein Sonntag wie Cantate überhaupt Sinn? Ist dann nicht eher Trübsal blasen angesagt? Und in der Tat gibt es viele Menschen, denen mittlerweile die ganze Coronasituation zu weit geht, die es nicht mehr aushalten, die damit einfach Schluss machen wollen. Es gibt viele Menschen, die ausbrechen wollen aus dem Lockdown, die zurück ins alte Leben wollen, sich wieder frei bewegen wollen.

Zurück ins alte Leben, das ist das Stichwort, das zu Cantate passt. Denn worum geht es den hier wirklich? Dass die Pandemie nun nicht einfach so zu vertreiben ist, das dürfte allen klar sein. Wir müssen also Wege finden, wie wir durch diese Zeit gut kommen können, ohne uns dabei zu gefährden. Leider ist dies eben mit Einschränkungen verbunden. Das alte Leben würde uns da nicht weiterhelfen. Es würde uns eher gefährden.

Aber das alte Leben steht auch noch im übertragenen Sinne für etwas. Und da gilt es genauer hinzuschauen. Der Blick zurück muss nicht immer der richtige sein. Der Blick zurück lässt uns zwar an alte schöne Zeiten denken, an Zeiten, die für uns schön und romantisch gewesen sind. Aber dabei stellt sich oft eine Verklärung ein. Die herausfordernden und schwierigen Seiten des Lebens gab es auch damals. Und unser ganz besonders großes Problem ist, dass wir beim Blick zurück auch immer manche Altlasten unseres Lebens wieder aufblühen lassen. Da erinnern wir uns an die Situationen, die misslungen sind, wo wir gescheitert sind, wo wir uns über andere Menschen aufgeregt haben oder uns verletzt fühlen. Und wenn gerade die schmerzhaften Momente unseres Lebens immer wieder hervorbrechen, dann nimmt uns das gefangen. Dann hindert uns das, in der aktuellen Lage nach vorne zu schauen, neue Wege anzugehen und frei zu werden von dem, was aus der Vergangenheit noch unser Leben bestimmen möchte.

Da singen wir dann zu oft das alte Lied, das Lied der Klage, der Verletzung, der Trübsal. Und dieses Lied ist keineswegs ermutigend und begeisternd. Was wir dagegen brauchen, ist ein neues Lied, das seinen Ursprung in einer Befreiung und neuer Lebendigkeit hat. Und da sind wir nun wieder bei Ostern. So möchte in uns wieder der Osterjubel angestimmt werden.

Aber wie ist das möglich, wenn eben nicht alles so perfekt ist, wenn nicht alles nach Osterjubel aussieht? Blicken wir auf die Ereignisse einst bei Jesus. Wieder einmal – wie schon am 1. Advent und am Palmsonntag – werden wir in eine ganz bestimmte Situation hineingenommen, nämlich in den Einzug Jesu nach Jerusalem. Heute haben wir nicht die so bekannte Szene vor Augen, in der Jesus auf dem Esel reitet und die Leute die Palmzweige vor ihm bewegen und niederlegen. Wir blicken vielmehr auf den hinteren Teil der Begebenheit. Und da hören wir, wie die Menschen Jesus mit lauter Stimme loben. Sie singen Loblieder. Sie sind ausgelassen, weil sie Jesus sehen. Und das hat seinen Grund. Sie hatten Taten Jesu gesehen. Und da haben sie mitbekommen, wie Jesus das Leben von Menschen verändert hat. Menschen, die Schweres zu tragen hatten, waren Jesus begegnet. Und er hat sie frei gemacht. Er hat ihr Leben verändert. Er hat das alte Lied ihrer Klage, ihrer Depression, ihres Schmerzes, ihrer Verzweiflung verstummen lassen. Er hat ihr Leben, ihre Seele geheilt, so dass sie das Alte hinter sich lassen konnten, dass sie es abgeben konnten und befreit wieder aufblicken und aufatmen konnten. Jesus hat Sünden vergeben. Er hat die Lasten, die auf die Seele drückten, weggenommen. Er hat den Menschen eine Zukunft eröffnet. Und deshalb stimmen die Leute das Loblied an. Sie singen  das neue Lied des Lebens, der Begeisterung. Sie setzen ihre ganze Hoffnung in Jesus. Weil sie gesehen haben, was er mit Menschen gemacht hat, deshalb sind sie ganz außer sich.

Und auch heute: Jesus kommt und möchte in unser Leben einziehen. Er möchte unser Leben verändern. Dort, wo wir an den alten Dingen hängen und nicht loslassen können, dort, wo wir unfrei sind und unseren Blick nicht nach vorne richten können, dort möchte er uns begegnen, uns die Schatten des Todes, der Lähmung, der Verzweiflung nehmen. Er möchte uns aufrichten, stärken, stützen, ermutigen. Und das ist etwas für uns gerade auch in diesen Zeiten. Da mag uns die Pandemie mit ihren Auswirkungen bedrücken. Aber da mag es auch sonst noch so viele Beeinträchtigungen, Sorgen und Nöte geben. Ja, gerade in diesen Zeiten brauchen wir die Veränderung, die uns einen neuen Blick schenkt, die uns aufrichtet. Und so ist es gut, wenn wir auch in schwierigen Zeiten eine andere Melodie in uns tragen können als die des Frustes und der Perspektivlosigkeit.

Deshalb möchte Jesus in unser Leben einziehen. Er möchte mit uns den Weg durch die Zeit gehen und uns diese neue Lebensmelodie ins Herz legen. Dazu ist es aber auch wichtig, dass wir Menschen ihm das Tor unseres Herzens aufmachen, dass wir ihn an uns wirken lassen. Er möchte unser Herz berühren, die Verletzungen und Wunden heilen, die das Leben so mit sich bringt. Er möchte uns wieder neu einspuren auf dem Weg des Lebens.

Doch wie sieht es da in unseren Tagen aus? Viele Menschen kehren sich gerade von Gott, von Jesus, von der Kirche ab. Sie wollen oder können nicht das neue Lied des Lebens anstimmen. Ganz offenbar sehen sie diesen Weg nicht, den Jesus uns führen will. Oder es kommt für manch einen nicht in Frage, sich Jesus anzuvertrauen. Das ist ja auch ein Wagnis, sein Leben aus der Hand zu geben und zu sagen: Herr, mach Du es!  Doch hier liegt gerade das Geheimnis der Befreiung.

Aber schon damals gab es Menschen, die den Weg Jesu nicht mitgehen konnten oder wollten. Sie standen argwöhnisch hinter manch einem Mauervorsprung und beäugten den Einzug Jesu nach Jerusalem kritisch. Dass sich Menschen freuten und die Melodie eines neuen, befreiten Lebens sangen, das konnten sie nicht ertragen. Sie hatten offenbar keine Bereitschaft, etwas von  ihrer Macht abzugeben, ihr Leben in die Hände Jesu zu legen.

Damals wandten sich die Pharisäer an Jesus und wollten das Singen verbieten. Der Meister selber sollte es den Leuten sagen. Doch Jesus ließ sich und den Menschen nichts vorschreiben. Er kontert mit den Worten: „Wenn diese schweigen werden, so werden die Steine schreien.“

In diesem Jahr ist uns das Singen wegen der Pandemie verboten. Würden wir in der Kirche große Gesänge miteinander anstimmen, müssten wir damit rechnen, dass die Obrigkeit unseren Gesang unterbinden würde. Das mag aus gesundheitlichen Gründen nachvollziehbar sein. Und es macht auch Sinn, sich an dieser Stelle an die Regeln zu halten. Und dennoch kann niemand uns die Seelsorge verbieten. Es bleibt wichtig und entscheidend, dass Menschen vom alten Lied, von der alten Melodie der Trauer und der Verzagtheit, von der Bitterkeit und der Betrübtheit hin zu der neuen Melodie des Lebens und der Begeisterung, der Freude und der Befreiung finden.

Die Botschaft von Jesus befreit! Die Botschaft von Jesus, dem Auferstandenen, gibt Zukunft. Und deshalb darf sie nicht verstummen. Immer wieder haben Menschen versucht, das Evangelium, die frohe Botschaft unseres Herrn Jesus Christus, zum Schweigen zu bringen. Immer wieder war diese Botschaft Menschen nicht angenehm. Da hatten Menschen Sorge um ihre Machtposition. Da war die Botschaft manch einem ein Ärgernis. Und weil man es selber nicht wahrhaben konnte, wollte man es auch anderen verbieten.

Aber Jesus sagt: Diese Botschaft ist nicht tot zu bekommen. Sie kann und wird nie verstummen. Sie wird sich ihren Weg bahnen. Und das sehen wir auch in Regionen dieser Welt, wo es sogar gefährlich ist, an Christus zu glauben.

Aber wie sieht es da bei uns aus? Geht es uns zu gut, dass man dieser Botschaft so einfach den Rücken zuwenden kann? Scheinbar werden viele Menschen nicht mehr erreicht vom neuen Lied des Lebens. Viele können nicht mehr erkennen, was die Botschaft von Jesus mit unserem Leben zu tun hat.

Deshalb scheint es mir wichtig, dass wir in der Kirche bei uns selbst anfangen, dass wir die neue Melodie des Lebens anstimmen, dass das Lob Gottes ganz neu ertönt. Und dafür brauchen wir mehrere Schritte: Lassen wir immer wieder neu Jesus zu unseren Toren einziehen, in unserem Leben, in unserer Gemeinde, in unserer Kirche Raum gewinnen. Lassen wir ihn an unser Leben heran, dass er uns verändern kann, dass wir abgeben können, was uns belastet und herunterzieht, dass wir vergeben können, wo wir mit einem anderen im Streit liegen. Und lassen wir uns befreit vom Alten ganz neu in das Lob Gottes führen. Eine lobende und begeisterte Gemeinde strahlt aus. Rufen wir dem Auferstandenen zu: „Gelobt sei, der da kommt, der König, im Namen des Herrn! Friede sei im Himmel und Ehre in der Höhe!“ Wo wir Gott die Ehre geben, dort erfahren wir neues Leben und können in die neue Lebensmelodie einstimmen. Deshalb lasst uns singen, selbst wenn die äußeren Umstände nicht so rosig erscheinen mögen. Wer auf den Auferstandenen baut, der kann über den Tellerrand der Schattenseiten des Lebens blicken. Wir brauchen in unseren Tagen diese neue Melodie des Lebens!

Ihr Pfarrer Carsten Klingenberg