01.01.2021 Neujahr

01.01.2021 Neujahr

Predigt: Philipper 4:10-20

10 Ich bin aber hocherfreut in dem Herrn, dass ihr wieder eifrig geworden seid, für mich zu sorgen; ihr wart zwar immer darauf bedacht, aber die Zeit hat's nicht zugelassen. 11 Ich sage das nicht, weil ich Mangel leide; denn ich habe gelernt, mir genügen zu lassen, wie's mir auch geht. 12 Ich kann niedrig sein und kann hoch sein; mir ist alles und jedes vertraut: beides, satt sein und hungern, beides, Überfluss haben und Mangel leiden; 13 ich vermag alles durch den, der mich mächtig macht. 14 Doch ihr habt wohl daran getan, dass ihr meine Bedrängnis geteilt habt. 15 Denn ihr Philipper wisst auch, dass am Anfang meiner Predigt des Evangeliums, als ich auszog aus Makedonien, keine Gemeinde mit mir Gemeinschaft gehabt hat im Geben und Nehmen als ihr allein. 16 Denn auch nach Thessalonich habt ihr etwas gesandt für meinen Bedarf, einmal und danach noch einmal. 17 Nicht, dass ich das Geschenk suche, sondern ich suche die Frucht, damit sie euch reichlich angerechnet wird. 18 Ich habe aber alles erhalten und habe Überfluss. Ich habe in Fülle, nachdem ich durch Epaphroditus empfangen habe, was von euch gekommen ist: ein lieblicher Geruch, ein angenehmes Opfer, Gott gefällig. 19 Mein Gott aber wird all eurem Mangel abhelfen nach seinem Reichtum in Herrlichkeit in Christus Jesus. 20 Gott aber, unserm Vater, sei Ehre von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen.

Jahreslosung: Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist. Lukas 6:36


Liebe Mitchristinnen und Mitchristen!

In diesem Jahr ist der Schritt in das neue Jahr ganz anders. Das sehen wir auch an diesem ersten Tag des neuen Jahres. Anders als in normalen Zeiten fehlen die vielen Überreste des nächtlichen Feuerwerks und manch ausgelassener Feier. Diese neue Jahr beginnt merkwürdig still. Und zugleich mag diese Stille manch einen bedrücken. Die Pandemie nimmt uns scheinbar alle Freuden. Sie macht uns unbeweglich und steif. Sie nimmt uns die Gemeinschaft und die Lust an Unternehmungen. Das neue Jahr beginnen wir wie unfreie Menschen, wie Gefangene, die bestimmt sind von Hygienevorschriften und diversen Regelungen. Das alles mag ja einsichtig und nötig sein. Dennoch fühlen wir uns eingeengt und gefangen. Wie wird da das neue Jahr werden? Wird es ein düsteres Jahr? Werden wir uns nicht mehr an unserem Leben freuen können wie früher? Müssen wir nur noch mit den Einschränkungen leben?

Irgendwie möchte an diesem ersten Tag im neuen Jahr die Botschaft aus dem Brief des Paulus an die Gemeinde in Philippi nicht gefallen. Da ist von so viel Freude die Rede. „Ich bin hocherfreut“, schreibt er. Überhaupt: Der Brief an die Gemeinde in Philippi ist insgesamt geprägt von einer großen Freude. Und es sieht so aus, als ob der Apostel uns mitreißen möchte, in uns ebenfalls diese Freude entfachen lassen möchte. Aber geht das so einfach? Können wir uns heute freuen? Und: Geht diese Botschaft nicht an uns vorbei? Bräuchten wir heute, an diesem ersten Tag des Jahres 2021 in dieser Situation nicht ganz andere Worte? Wir sehnen uns doch nach Veränderung, nach einem neuen Jahr, dass viel positiver – darf man das überhaupt noch so sagen? – werden wird. Und da benötigen wir erst einmal Worte der Ermutigung und des Trost, Worte der Stärkung und der Hoffnung. Freude erscheint da noch zu früh!

Aber schauen wir uns den Brief des Paulus an die Gemeinde von Philippi genau an. Warum ist Paulus so freudig? Was ist die Ursache für diese Freude? Und da halten wir erst einmal inne. Paulus geht es gar nicht so prächtig. Wir mögen uns vielleicht wegen der Coronabeschränkungen eingesperrt fühlen. Aber Paulus ist eingesperrt. Er befindet sich im Gefängnis. Es wird diskutiert, wo das sein mag. Drei Orte werden in der Regel genannt. Für mich klingt Rom am wahrscheinlichsten. Entscheidend ist aber: Paulus befindet sich in einer heiklen Lage. Er weiß nicht, ob er aus diesem Gefängnis wieder herauskommen wird, also in die Freiheit. Es kann für ihn auch bedeuten, dass er hingerichtet wird. Und dann ist die Freude des Briefes an die Gemeinde in Philippi  doch sehr überraschend. Offenbar gibt es für ihn einen Grund der Freude der tiefer und weiter greift als alle Freuden, die das Leben so mit sich bringen kann. Und diese Freude liegt in zwei entscheidenden Punkten begründet. Diese Freude entspringt der Verbundenheit mit Christus und der Verbundenheit mit der Gemeinschaft.

Zunächst: Was bringt die Verbundenheit mit Christus? Paulus hat ganz offensichtlich einen anderen Blick für die Dinge und die Situationen des Lebens gewonnen. Es geht ihm nicht darum, möglichst viel Besitz zu haben. Er möchte auch nicht ein Leben aus der Zuschauerperspektive, dass sich nur an den Vorstellungen anderer ergötzt. Paulus möchte ein Leben leben, das bestimmt ist von der Liebe Gottes. Er weiß sich getragen von Gott in guten wie in schweren Zeiten.

Dennoch hat da manch einer Einwände! Die Worte des Paulus fordern manch einen zum Widerspruch heraus. „Ich habe gelernt, mir genügen zu lassen, wie’s mir auch geht.“ Nein, Paulus. Damit möchte ich mich nicht zufrieden geben. Das klingt ja, als ob mich und mein Leben aufgebe. Aber das will ich nicht! Ich will leben! Und da möchte ich darum kämpfen, dass ich frei sein kann, das Leben genießen kann. Ich gebe mich nicht damit ab, dass es nicht mehr gehen soll.

Zwei Positionen prallen hier aufeinander. Für die meisten Menschen erscheint die Sicht des Paulus schwierig. Sie wollen sich nicht einengen lassen. Deshalb rebellieren sie, lehnen sich gegen die Umstände auf. Und ein Prinzip scheint ihnen Recht zu geben: Wenn ich nicht aktiv werde, wird auch nichts geschehen, gibt es keine Veränderung. Aber dahinter steht auch eine Angst, nämlich die Angst, die Kontrolle über das eigene Leben zu verlieren, hilflos und wehrlos zu werden.

Paulus dagegen geht einen anderen Weg. Und er möchte auch uns für den Weg durch das neue Jahr darauf aufmerksam machen. Paulus schaut der Realität in die Augen: Es gibt Situationen, Einflüsse, Umstände, in denen ich klar bekennen muss: Hier komme ich von mir aus nicht weiter. Was würde es Paulus bringen, wenn er jetzt im Gefängnis randalieren und rumschimpfen würde. Das würde ihm bestenfalls Spott und Schläge einbringen. Paulus erkennt: Als Menschen sind wir schwach. Das mag für manch einen eine bittere Erkenntnis sein. Aber es kann auch befreiend sein. Paulus sieht in seiner Lage nur das eine: „Ich vermag alles durch den, der mich mächtig macht.“ Paulus kann bestehen in guten wie in schweren Zeiten im Vertrauen und Wissen um den, der der Herr dieser Welt ist. Bei ihm bin ich auf der Seite des Lebens, selbst wenn es ganz schwierig wird. Deshalb kann Paulus genügsam sein. Und das meint: Er kann zu einem inneren Frieden finden und damit frei sein von dem, was belastet.

Und Paulus kann selbst in seiner misslichen Lage staunen. Denn das Vertrauen in den, der mächtig ist, das Vertrauen in den lebendigen Gott, das überwindet alle Einsamkeit, alle Begrenzungen, alle Lethargie. Das Vertrauen auf den lebendigen Gott schafft Gemeinschaft. Das ist der zweite Aspekt, den uns die Worte aus dem Brief an die Gemeinde in Philippi aufzeigen. Und dieser Akzent ist ebenso für unseren Weg in und durch das neue Jahr ganz wichtig. Paulus spricht von der Frucht, die die Beziehung zum lebendigen Gott in uns wirkt. Und diese Frucht wird auch in der Jahreslosung für 2021 anschaulich: „Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist.“ Als Christinnen und Christen auf dem Weg durch die Zeit können und dürfen wir uns bei dem, der uns mächtig macht, geborgen wissen, bei unserem dreieinigen Gott, der mit uns ist und geht. Aber wir sind auch in ein tragendes Netz dieser Barmherzigkeit gestellt.

Geben und Nehmen nennt es Paulus. Und wieder mag jemand aufbegehren und sagen: Der will sich doch nur dafür rechtfertigen und einen frommen Schein aufbauen, dass er auf Kosten anderer schmarotzt. Doch da wäre ich vorsichtig. Paulus sagt ausdrücklich, dass er sich mit dem zufrieden gibt, was er hat, sei es viel oder wenig. Er freut sich aber umso mehr um das Band der Liebe, das die Christinnen und Christen in Philippi pflegen. Es ist ihnen ein Herzensanliegen, einander zu tragen. Jeder Mensch kann in eine missliche Lage kommen. Und so ist ihnen Paulus nicht gleichgültig. Sie sehen seine Not, sein Leid, seine Bedrängnis. Und sie freuen sich daran, dass sie ihm beistehen und helfen können, dass sie barmherzig sein können. Denn diese Barmherzigkeit haben sie selber erfahren. Und diese Haltung macht frei. Sie nimmt alle finsteren Gedanken. Sie führt zum Aufblicken und loben. Gott wir die Ehre gegeben.

Was bedeutet das für uns in diesen Tagen? Die Pandemie bedrängt uns. Sie fordert von uns Entscheidungen, die unangenehm sind, die uns belasten wollen, die uns vielleicht sogar das nehmen, was uns sehr wichtig ist. Sie führt uns manchmal auch zu Entscheidungen, die nicht befriedigend sind, die unterschiedliche Positionen hervorrufen. Doch denken wir an Paulus. Hier um jeden Preis nun für etwas kämpfen zu wollen, führt uns nicht weiter. Lass Dir an seiner, an Gottes Gnade genügen. Du bist stark durch den, der mächtig ist. Belastet Euch nicht. Last Euch nicht gefangen nehmen. Paulus sitzt im Gefängnis, aber er ist frei. Wir haben Corona, aber das darf uns nicht gefangen nehmen, genauso wenig unsere unterschiedlichen Ansichten dazu und Entscheidungen. Blickt auf! Gebt Gott die Ehre! Er sorgt für Euch! Er macht Euch frei, damit ihr auch auf dem Weg in diesen Zeiten trotz aller Bedrängnis loben und danken könnt, Zuversicht habt und einander tragt. Und dazu schenkt uns Gott Kreativität und Fantasie. So wie die Christinnen und Christen in Philippi trotz Gefängnismauern die Gemeinschaft mit Paulus kreativ und effektiv halten konnten, so kann das auch heute gelingen mit unseren Mitmenschen in unserer Zeit.

Vergessen wir nicht: Gott ist mit uns. Gott ist für uns. In diesem Wissen und Vertrauen können wir getrost das neue Jahr angehen.

Ihr Pfarrer Carsten Klingenberg