11.04.2020 Karsamstag

11.04.2020 Karsamstag

Matthäus 27:57-66

57 Am Abend aber kam ein reicher Mann aus Arimathäa, der hieß Josef und war auch ein Jünger Jesu.  58 Der ging zu Pilatus und bat um den Leib Jesu. Da befahl Pilatus, man sollte ihm den geben.  59 Und Josef nahm den Leib und wickelte ihn in ein reines Leinentuch  60 und legte ihn in sein eigenes neues Grab, das er in einen Felsen hatte hauen lassen, und wälzte einen großen Stein vor die Tür des Grabes und ging davon.  61 Es waren aber dort Maria Magdalena und die andere Maria; die saßen dem Grab gegenüber. 

62 Am nächsten Tag, der auf den Rüsttag folgt, versammelten sich die Hohenpriester und die Pharisäer bei Pilatus  63 und sprachen: Herr, wir haben daran gedacht, dass dieser Verführer sprach, als er noch lebte: Nach drei Tagen werde ich auferweckt.  64 Darum befiehl, dass man das Grab bewache bis zum dritten Tag, damit nicht seine Jünger kommen und ihn stehlen und zum Volk sagen: Er ist auferstanden von den Toten, und der letzte Betrug ärger wird als der erste.  65 Pilatus sprach zu ihnen: Da habt ihr die Wache; geht hin und bewacht es, so gut ihr könnt.  66 Sie gingen hin und sicherten das Grab mit der Wache und versiegelten den Stein.

Liebe Freunde,

in unserer Kirchengemeinde ist es zwar keine Tradition, den Karsamstag zu begehen. Doch gerade in unseren Zeiten erscheint es mir hilfreich, auch diesen Feiertag zu bedenken.

Erschüttert haben mich die ersten Bilder aus Italien, als in der Stadt Bergamo die zahlreichen Corona-Toten mit gepanzerten Militärfahrzeugen abgeholt wurden. Dass es nicht einmal mehr mit ganz normalen Bestattern geht, ist erschreckend. Die Bilder weckten in mir Gedanken an Kriegszustände. Und sie ließen mich still werden. So viele Menschen waren an einem Tag gestorben. Und das war nur der Anfang. Da kann ich nur innehalten und still werden.

Neulich erzählte mir jemand von einem Einkauf in einem Ismaninger Supermarkt. Es waren einige Menschen ebenfalls beim Einkaufen. Doch in dem ganzen Laden war eine außergewöhnliche, fast bedrückende Stille. Da fehlte es gänzlich an der üblichen Lebendigkeit, die das Einkaufen mit sich bringt.

Stille zeigt sich auch in unseren Straßen. Das Leben ist komplett anders als sonst. Es fahren weniger Autos. Es sind weniger Menschen unterwegs. Und auch am Himmel fehlen die vielen Flugzeuge, die normalerweise unsere Orte überqueren. Das ist eine merkwürdige Stille. Zwar kann man sehr viel ungestörter das Zwitschern der Vögel wahrnehmen. Und auch die Glocken unserer Kirchen sind auf einmal besser zu hören als sonst. Aber gerade auch das Läuten der Glocken möchte uns zur Besinnung bringen, zum Gebet führen, uns bedenken lassen, dass wir in einer herausfordernden Zeit leben.

Der Karsamstag gehört zu den sogenannten stillen Feiertagen. Gerade die Botschaft von Karfreitag und Karsamstag lässt uns still werden. Es ist eine Botschaft, die uns in eine besondere Ruhe führt.

Das Evangelium für Karsamstag setzt dort an, wo es für viele Menschen damals dunkel geworden ist. Die Freunde Jesu hatten miterlebt, wie Jesus am Kreuz gestorben ist. Der, auf den sie so viel gesetzt hatten, ist nicht mehr am Leben. Trauer, Sorgen und Angst erfüllen diese Menschen. Wie wird es nun weitergehen? Wird man uns auch nachstellen, nach dem Leben trachten? Welche Zukunft haben wir noch? Ist alles aus? Fragen über Fragen.

Da hören wir von einem mutigen Mann, Josef von Arimathäa. Er gehört zu denen, die sich in irgendeiner Weise Jesus angeschlossen haben. Offenbar war er noch nicht allen im Kreis der Freunde Jesu bekannt. Denn die beiden Marias reagieren nicht auf ihn. Und er reagiert nicht auf sie. Offen bleibt auch, ob er nur zum Fest in Jerusalem war. Die Angabe seiner Herkunft deutet darauf hin, dass er von weiter her kommt. Auf der anderen Seit hat er in Jerusalem ein Familiengrab gekauft. Das würde darauf hindeuten, dass er mittlerweile nach Jerusalem übergesiedelt ist. Wie dem auch sei, dieser Mann nimmt seinen ganzen Mut zusammen und wagt es, zu Pilatus zu gehen, um um den Leichnam Jesu zu bitten. Nach jüdischen Vorstellungen war es eine Schande, wenn ein Toter nicht über Nacht bestattet wurde. So geht es Josef darum, Jesus auf jeden Fall auf diese Weise seine Liebe zu bezeugen. Tote bestatten ist ein Werk der Barmherzigkeit. Und Josef zögert nicht, alles für Jesus zu tun, auch jetzt noch in dieser scheinbar ausweglosen Lage. Er legt ihn in sein Familiengrab. Auch gibt er Jesus die Würde, indem er ihn nicht nackt bestattet, sondern ihn mit einem reinen Leinentuch umgibt. Schließlich wälzt er noch einen großen Stein vor den Eingang des Grabes. Dieser Stein steht für verschiedene Aspekte. Er beschließt nun endgültig das, was gewesen ist, markiert das Ende des Lebens Jesu auch im Sinne seiner sichtbaren Anwesenheit als Verstorbener. Jesus ist somit verborgen vor den Blicken der Menschen. Und das ist auch die Herausforderung dieses Tages, des Karsamstages, den wir heute begehen. Jesus ist verborgen vor unseren Blicken. Wir müssen uns der schmerzvollen Abwesenheit Jesu stellen. Und somit liegt der Stein auch wie ein schwerer Mühlstein auf unserer Seele, damals wie heute. Er ist eine Last, die Last der Hoffnungslosigkeit, der Ausweglosigkeit, der Perspektivlosigkeit. Hier kommt zum Ausdruck, was bereits Jesus am Kreuz mit den Worten des 22. Psalms gebetet hatte: „Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?“ Das Gefühl der Gottverlassenheit kann uns Menschen immer wieder in unserem Leben überkommen. Und das geschieht gerade in den ausweglos erscheinenden Momenten unseres Lebens. Und dennoch müssen wir bedenken, dass der Psalm 22 nicht bei dieser Aussichtslosigkeit bleibt. Aber das wird dann am Ostermorgen uns betreffen.

Jetzt ist es so, dass das Grab abgeschlossen ist. Es ist für uns der Freitagabend. Aber da der jüdische Tag am Abend des Vortages beginnt, befinden wir uns schon am Karsamstag. Die beiden Marias setzen sich dem Grab gegenüber. Sie sind Zeuginnen der Grablegung. Zur damaligen Zeit galt als wahr, was aus zweier Zeugen Mund übereinstimmend bezeugt wurde.

Ja, Jesus ist ins Grab gelegt. Und doch argwöhnen gewisse Leute, dass sich dahinter nun eine Verschwörung zusammenbraut. Hatte nicht Jesus selber etwas gesagt von drei Tagen? Werden seine Freunde vielleicht die Lage ausnutzen, um Gerüchte zu streuen? Es ist die Ironie der Geschichte, dass diejenigen, die mit Lug und Trug Jesus ans Kreuz gebracht haben, jetzt ihrerseits befürchten, dass sie betrogen werden. Man kann das Lachen Gottes über diese Leute fast aus dem Text heraushören. Wie ärmlich sie doch sind! Jetzt müssen sie auf Nummer sicher gehen. Jetzt brauchen sie Wachen und Siegel, damit ja niemand etwas an diesem Grab anstellt. Der Ostermorgen wird zeigen, wie erbärmlich das Verhalten der Widersacher Jesu war.

Aber noch sind wir nicht bis zum Ostermorgen vorgekommen. Noch müssen wir mit den Freunden Jesu den Schmerz und die drückende Stille aushalten. Setzen wir uns wie Maria von Magdala und die andere Maria hin und betrachten das Grab. Der Stein liegt noch schwer davor. Wie in unseren Zeiten, in denen uns mancherlei wie ein Stein auf der Seele liegt und bedrückt, uns die Luft zum Atmen nimmt, so sehen wir die beiden Frauen als Trauernde. Aber lassen wir die Worte Jesu in uns hineinklingen: Nach drei Tagen werde ich auferweckt (jüdische Zählweise: jeder Tag wird einzeln gezählt, so sind es von Karfreitag bis Ostern drei Tage), so wird es langsam dämmern.

Amen. 

Ihr Pfarrer Carsten Klingenberg