10.04.2020 Karfreitag

10.04.2020 Karfreitag

Predigttext: 2. Korinther 5:14-21

14 Denn die Liebe Christi drängt uns, da wir erkannt haben, dass einer für alle gestorben ist und so alle gestorben sind.  15 Und er ist darum für alle gestorben, damit, die da leben, hinfort nicht sich selbst leben, sondern dem, der für sie gestorben ist und auferweckt wurde.  16 Darum kennen wir von nun an niemanden mehr nach dem Fleisch; und auch wenn wir Christus gekannt haben nach dem Fleisch, so kennen wir ihn doch jetzt so nicht mehr.  17 Darum: Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur; das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden.  18 Aber das alles ist von Gott, der uns mit sich selber versöhnt hat durch Christus und uns das Amt gegeben, das die Versöhnung predigt.  19 Denn Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit ihm selber und rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung.  20 So sind wir nun Botschafter an Christi statt, denn Gott ermahnt durch uns; so bitten wir nun an Christi statt: Lasst euch versöhnen mit Gott!  21 Denn er hat den, der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht, auf dass wir in ihm die Gerechtigkeit würden, die vor Gott gilt.

Liebe Freunde,

am Karfreitag halte wir inne. Am Karfreitag werden wir still. Denn vor uns sehen wir das Kreuz, genau genommen die drei Kreuze. Doch das Kreuz in der Mitte ist das zentrale, das entscheidende. Der Weg hat uns hinausgeführt, hinaus aus dem Leben, hinaus aus der Stadt, hin zu dem Hügel Golgatha, der Schädelstätte. Dort, wo die Menschen von Jerusalem den Unrat ihrer Stadt, den Unrat ihres Lebens hinbrachten, dort auf dem Müllberg stehen die drei Kreuze.

Das ist kein schöner Anblick. Menschen sterben zu sehen, fällt immer schwer. Aber wenn dieser Tod mit so viel Gewalt und Verachtung verbunden ist, dann ist das an Grausamkeit kaum zu überbieten. Der Tod am Kreuz ist ein Erstickungstod, der unter anderem nach Verkrampfung der Atemmuskulatur eintritt. In Zeiten von Corona wird das Geschehen auf erschreckende Weise nah.

Für viele Menschen unserer Tage ist das Kreuz schwer zu ertragen. Wie kann dieses Werkzeug des Mordens zu einem Zeichen der Christen geworden sein. Wie können Christen sagen: In Kreuz liegt das Heil? Dazu müssen wir tiefer blicken, um dem Geheimnis auf die Spur zu kommen.

Die Worte des Paulus klingen auf den ersten Blick ebenfalls befremdlich, wenn er von der Liebe Christi spricht. Einer ist für alle gestorben, schreibt Paulus. Das klingt in der Tat dramatisch und zugleich erschreckend. In diesen Tagen las ich von einem Pfarrer in Italien, der sich mit Corona infiziert hatte. Da es im Krankenhaus einen Engpass an Beatmungsgeräten gab, überlies er sein Beatmungsgerät einem anderen Menschen. Er ist gestorben, damit ein andere leben kann. So leben wir nicht mehr für uns selbst, sondern für den, der für uns gestorben ist. Auf beeindruckende Weise hat dieser Pfarrer die Worte des Paulus gelebt. Es ging ihm nicht darum, sich selbst zu retten, nur zu schauen, dass er selber durchkommt, sondern er sah die Not eines anderen und hat für ihn die Liebe aufgebracht, dass er leben kann. Zugegeben, das ist kein einfacher Schritt, keine Entscheidung, die mal so locker getroffen wird.

Paulus schreibt nun, dass es bei Jesus noch viel umfassender ist. Er ist für alle gestorben. Was sollen wir darunter verstehen? Wie ist das gemeint? Auch hier geht es um das Atmen. Es gibt so viele Dinge in unserem Leben, die uns das Atmen schwer machen, Situationen, die belasten, die die Freude am Leben nehmen, die die Beziehungen zu anderen Menschen betrüben und die auch unsere Beziehung zu Gott in Frage stellen wollen. Immer wieder erleben wir es, dass wir Menschen an einander geraten, dass verletzende Worte gesprochen werden – von anderen uns gegenüber, aber auch von uns anderen gegenüber. Immer wieder treten bewusste oder unbewusste Störungen unserer menschlichen Beziehungen auf. Und dazu kommen noch die Belastungen, die Scheitern, gesundheitliche Probleme und der Tod eines leiben Mitmenschen mit sich bringen.

Mitunter spüren wir den großen Mühlstein auf unserer Seele liegen, der uns herunterdrückt und uns das Leben schwer werden lässt. Wir sehnen uns danach, wieder aufatmen zu können. Wir träumen von einem befreiten Leben. Jesus hatte doch so viel von dem Reich Gottes gesprochen, in dem alles ganz anders ist. Und da fragt manch einer schon resigniert: Ja, und wo bleibt es? Und nun blicken wir am Karfreitag auch noch auf das Kreuz. Ist jetzt nicht alle Hoffnung dahin? Doch gerade hier liegt das Geheimnis von Golgatha: Jesus ist den Weg konsequent gegangen, den Weg der Liebe, der Hingabe. Er alles, was uns Menschen herunterzieht, belastet, erdrückt und uns die Luft zum Atmen nimmt, auf sich genommen, mit ans Kreuz genommen. Er hat alles Trennende mitgenommen, damit es dort am Kreuz mit ihm stirbt.

Doch von Ostern her wird das Kreuz zum Beginn des neuen Lebens, des Leben, das aufatmen kann, das frei durchatmen kann. Alle Belastungen sind genommen. Das Alte ist vergangen, Neues ist geworden. Paulus ermuntert uns, den Weg Jesu bewusst mitzugehen. Sterben wir mit, so werden wir mit leben, so heißt es in einem alten Leitvers der christlichen Liturgie. Gott nutzt das Kreuz zum Beginn einer neuen Schöpfung. In der Nachfolge Jesu sind wir eine neue Kreatur.

Das klingt wunderschön. Das ist zu schön, um wahr zu sein. Sind doch unsere Erfahrungen ganz andere. Bleibt doch vieles bei oberflächlicher Betrachtung beim Alten. Doch am Kreuz sagte Jesus abschließend: „Es ist vollbracht!“ Ja, das Neue ist da. Und das kann niemand mehr nehmen. Mag das Alte immer wieder auch hervorbrechen wollen. Mag in dieser Welt das Alte sich immer wieder aufbäumen und unser Leben belasten wollen, so ist doch das Neue, das neue Leben schon da und will gelebt werden.

Paulus hat die Christinnen und Christen von Korinth vor Augen. Und das sind Menschen, die sich für das neue Leben entschieden haben, die den Glauben bewusst leben möchten. Und die Berichte über diese Gemeinde zeigen auch, wie lebendig es dort zugegangen ist. Da gab es dieses Aufatmen, diese Begeisterung und Freude. Doch leider brach auch das Alte immer wieder hervor. Und das hat nicht nur Paulus betrübt. Streitigkeiten in der Gemeinde belasteten wieder neu. Sie nahmen den Schwung, die Freiheit, die Freude. Und so wird Paulus selbst zu einem Vorbild seiner Worte. Er macht sich ganz klein. Er verzichtet auf alle Ansprüche. Denn es geht ihm nur um das Eine: „Lasst Euch versöhnen mit Gott!“ Seine große Bitte um Versöhnung gilt auch für uns heute. Weil wir auch in unseren Tagen immer wieder in die alten Strukturen und Gewohnheiten hineinrutschen, ermutigt Paulus: Geht den Weg Jesu mit. Lasst Eure eigenen Interessen sterben, Euer Ego, damit Ihr nicht mehr Euch selbst, sondern Christus lebt. Und das bedeutet auch: Ihr seid frei von dem, was herunterziehen und bedrücken will. Ob die Christinnen und Christen von Korinth sich darauf eingelassen haben, ob sie bereit waren, sich versöhnen zu lassen, die Hingabe Jesu anzunehmen, um frei zu werden von der Schuld der gegenseitigen Verletzungen, das ist schwer nachzuprüfen.

Paulus aber sagt: So lebt Ihr glaubwürdig, wenn Ihr den Weg Jesu beschreitet, wenn Ihr mit ihm geht, wenn Ihr das Kreuz als den Ort und das Zeichen seht, an dem alles, was uns die Luft nimmt, gestorben ist, damit wir das neue Leben in Christus haben dürfen.

Paulus macht Werbung für das neue Leben in Christus. Sagt nicht nur, Ihr seid Christen, sondern lebt auch so. Baut auf den, der alle Schuld von uns genommen hat, der den schweren Mühlstein beiseitegeschoben hat wie den Stein vor dem Grab am Ostermorgen. So könnt Ihr Zeugen der Botschaft dessen werden, der den Weg in den Tod gegangen ist, der aber auch auferstanden ist. Blicken wir auf ihn, auf sein Kreuz im Wissen und im Lichte von Ostern, so werden wir ermutigt zur Versöhnung und zur Liebe, die Grenzen überschreiten kann.

Amen.

Ihr Pfarrer Carsten Klingenberg