04.07.2021 5. Sonntag nach Trinitatis

04.07.2021 5. Sonntag nach Trinitatis

Predigt: 1. Korinther 1:18-25

18 Denn das Wort vom Kreuz ist eine Torheit denen, die verloren werden; uns aber, die wir selig werden, ist es Gottes Kraft. 19 Denn es steht geschrieben (Jesaja 29,14): »Ich will zunichtemachen die Weisheit der Weisen, und den Verstand der Verständigen will ich verwerfen.« 20 Wo sind die Klugen? Wo sind die Schriftgelehrten? Wo sind die Weisen dieser Welt? Hat nicht Gott die Weisheit der Welt zur Torheit gemacht? 21 Denn weil die Welt durch ihre Weisheit Gott in seiner Weisheit nicht erkannte, gefiel es Gott wohl, durch die Torheit der Predigt selig zu machen, die da glauben. 22 Denn die Juden fordern Zeichen und die Griechen fragen nach Weisheit, 23 wir aber predigen Christus, den Gekreuzigten, den Juden ein Ärgernis und den Heiden eine Torheit; 24 denen aber, die berufen sind, Juden und Griechen, predigen wir Christus als Gottes Kraft und Gottes Weisheit. 25 Denn die göttliche Torheit ist weiser, als die Menschen sind, und die göttliche Schwachheit ist stärker, als die Menschen sind.

Liebe Mitchristinnen und Mitchristen!

Immer wieder gerät das Kreuz in die Schlagzeilen. Da wird auf einem Berg im Allgäu ein Gipfelkreuz einfach gefällt. Und die Menschen fragen sich: Wer macht das? Es ist schon Jahre her, da habe ich im Durchblick, dem Park zum Schloss Blutenberg in München ein gewaltsam zerstörtes Martel gesehen. Der katholische Pfarrer hat wenig später die Überreste wieder aufgehängt. Das war ein erbärmlicher Anblick und zugleich ein beschämender Anblick. Wer macht so etwas? Was muss in einem solchen Menschen vorgehen, der so etwas macht?

Immer wieder meinen aber auch Zeitgenossen, das die Kreuze verschwinden müssen. Vor allem aus den Klassenzimmern wollen sie manche heraushaben. Eltern argumentieren, dass dieser Anblick eines Gekreuzigten für ihre Kinder nicht zumutbar sei. In Garmisch-Partenkirchen kommt der Tourismusverband dazu, sogar aus einem Panoramabild das Gipfelkreuz der Zugspitze herauszuretouchieren. Welche Botschaft will damit vermittelt werden? Warum stört dieses Gipfelkreuz? Ist es schädlich für den Tourismus? Hat man gemeint, mit diesem Kreuz werden Menschen aus anderen Regionen der Welt abgeschreckt?

Das Kreuz hat schon immer die Menschen herausgefordert. Bei Ausgrabungen in Rom hat man in en Räumen einer alten römischen Kaserne ein Graffitto gefunden. Da hat jemand in die Wand gekratzt: „Alexamenos betet zu seinem Gott.“ Eine Spottzeichnung, den zu sehen ist ein ans Kreuz geschlagener Esel. Das muss ein Dummkopf sein, der sich ans Kreuz schlagen lässt. Und dann noch dieser verrückte Alexamenos, der einen gekreuzigten Esel anbetet.

Ja, und wie sieht es für uns heute aus? Das mit dem Kreuz ist wahrhaft nicht einfach. Da stirbt jemand am Kreuz. Blut fließt. Das ist doch ein Bild eines Losers, wie man heute so neudeutsch sagt, ein Bild eines Versagers, ein Bild eines Verlierers. Was kann der uns bringen? So fragen wir vielleicht.

Und damit verbindet sich die Frage: Muss das alles sein? Kann das sein, dass Jesus für uns gestorben ist? Soll dieses Kreuz uns mit Gott versöhnen? Warum muss da überhaupt Blut fließen? Hätte Gott das nicht ganz anders machen können?

Das Kreuz Christi, was bedeutet es für uns? Manche Menschen tragen es an einer Kette um den Hals. Ein schönes Schmuckstück – ist das überhaupt zutreffend? Es ist doch eigentlich ein Folterwerkzeug, ein Mordwerkzeug. Wie geht es uns damit, wenn wir es um den Hals tragen?

Wenn wir uns die Grausamkeit dieses Symbols veranschaulichen, dann müssen wir uns fragen: Wie stehen wir zum Kreuz? Was bedeutet mir das Kreuz? Ist das Kreuz noch ein zeitgemäßes Symbol für den christlichen Glauben? Will ich lieber ein Christentum ohne Kreuz? Oder bringt mir das alles ohnehin nichts mehr? Fragen über Fragen! Wo stehe ich? Wo wollen wir stehen? Das sind ganz persönliche Fragen! Da sind wir gefragt! Da bin ich gefragt!

Damals in Korinth war auch jeder ganz persönlich gefragt. Wie stehst Du zu dem Kreuz? Was sagt es Dir? Was bringt es Dir? Und diese Frage hatte ihren Grund. Damals wie heute ist das Kreuz für Menschen nicht annehmbar. Es ist ein Skandal! Und die Christinnen und Christen in Korinth hatten mitunter ihre Sorgen: Wenn ich das Kreuz als Symbol zeige, wenn ich vom Kreuz spreche, dann ist das keine Reklame für das Christentum. Deshalb muss ich da lieber zurückhaltend sein.

Und Paulus schildert uns auch sehr deutlich, welche Gefühle und Empfindungen bei den Menschen seiner Zeit angestoßen werden. Er unterscheidet zwei Gruppen. Und das ist auch für die Situation damals angemessen. Grobgenommen differenziert Paulus zwischen Juden und Nichtjuden. Für die Juden war das Kreuz anstößig, weil es ein Folterwerkzeug der Römer gewesen ist. Und wer am Kreuz gestorben ist, der musste von Gott gestraft sein. Der war geschändet und geächtet. Den hatte Gott verlassen. Und somit war klar, dass Christinnen und Christen, die auf den Gekreuzigten bauten, ein Anstoß für fromme Juden war, einfach ein Skandal.

Aber auch für die Nichtjuden, die Griechen und die Menschen anderer Völker war ein Gekreuzigter nicht akzeptabel. Bei den Griechen und vielen Völkern gab es eine ganz klare Vorstellung von den Göttern. Sie mögen sehr menschliche Züge haben. Sie mögen auch ihre Streitigkeiten und Intrigen haben, sie sind aber diejenigen, von denen der Sieg, der Erfolg anhängt. Ein Gott, der gekennzeichnet ist durch ein Zeichen der Niederlage, das ist undenkbar. Unter den Griechen zählte vor allem die Bildung und die Weisheit. Und somit stand das Prinzip des Erfolgs vor Augen. Wer nach der Weisheit strebt, wer nach höherer Erkenntnis ausgerichtet ist, der wird Erfolg haben. Und somit steht alles unter einem Druck, unter dem Druck des klüger, besser, geschickter, erfolgreicher. Und damit sind wir ganz nah am Puls unserer Gesellschaft heute.

Das Kreuz ist eine Torheit und ein Ärgernis. Das können wir heute immer noch hören. Es stört Menschen, es ärgert Leute, dass hier ein am Kreuz Gestorbener in den Mittelpunkt gestellt wird. Das will nicht in den Kopf gehen. Der Mensch von heuet ist ausgerichtet auf Erfolg, auf immer mehr, immer höher, weiter und stärker. Und doch müssen wir bekennen, dass wir Menschen  an unsere Grenzen geraten. Das Prinzip des Leistungsdrucks führt uns keineswegs zum Ziel.

Aber was steht dahinter? Menschen meinen immer wieder: Nur mit Leistung und Erfolg, Anerkennung und Stärke kommen wir voran. Da darf man keine Schwächen zeigen. Da haben das Scheitern und der Misserfolg keinen Platz. Und doch spüren wir, wie uns dieses auf Erfolg und Anerkennung ausgerichtete Leben ganz schön an die Nieren gehen. Was mache ich mit meinem Scheitern? Was mache ich mit meinen Enttäuschungen? Ich schaffe es einfach nicht, perfekt zu sein. Doch das wollen wir nicht gerne zugeben.

Demgegenüber spricht Paulus von der Torheit der Predigt. Warum sollten wir uns also so etwas anhören? Warum soll die Botschaft von Jesus Christus uns eine andere Perspektive schenken, zumal es sich um einen Loser, um einen Gekreuzigten, einen Geächteten handelt. Haben die Meschen von damals nicht recht? Das ist eine Torheit und ein Ärgernis!

Aber warum ist dann das Kreuz zum Zeichen der Christen geworden? Warum gehen Menschen ganz andere Wege, nämlich Wege des Glaubens? Darüber müssen wir uns klar werden. Und wir müssen uns fragen: Worauf baue ich in meinem Leben? Worauf vertraue ich?

Haben nicht die Menschen recht, die auf die messbaren Fakten vertrauen? Bauen wir  ich viel mehr auf Erfolg und Kraft und Macht?
Was ist also der Kern der Botschaft vom Kreuz? Was können wir hier finden, das uns trägt, uns aufrichtet uns Halt gibt?

Das Kreuz ist nicht ohne die Auferstehung zu denken. Wäre Jesus wirklich nur am Kreuz gestorben, so wäre alles aus und vorbei. So gäbe zu zumindest mit Jesus keine Zukunft für uns Menschen. Dann wäre es in der Tat eine Idiotie, an einen Gekreuzigten zu glauben. Das Kreuz wird erst richtig bedeutungsvoll für uns, wenn wir den Auferstandenen im Kreuz sehen. Und hier verbirgt sich für uns eine Hoffnung, eine Perspektive auch über dieses Leben hinaus. Denn wenn der Tod nicht das letzte Wort haben kann, wenn er besiegt ist, dann steckt dahinter eine unermessliche Kraft, eine Kraft, die alle Rahmenbedingungen dieser Welt sprengen kann. Dabei geht es nicht zu sagen: Wir verneinen alle wissenschaftlichen Erkenntnisse. Es geht nicht um die Sache an sich, sondern um den Sinn unseres Lebens. Und da spielt das Kreuz eine entscheidende Rolle. Gott geht in Christus den Weg von uns Menschen. Er geht ihn mit allen Höhen und Tiefen. Er begibt sich in die Tiefen des Leidens, der Scherzen und des Todes. Doch da ist der Weg nicht zu Ende. Es gibt eine Perspektive über den Tod hinaus.

Und damit stellt sich die Frage an uns ganz persönlich: Wo stehst Du? Worauf baust Du? Die Perspektive, die Paulus uns vor Augen führt, besagt: In dieser Welt musst Du manches mit anderen Augen sehen. Mit den Gesetzmäßigkeiten dieser Welt wirst Du nicht zum Erfolg kommen. Du wirst die immer wieder abrackern im Hamsterrad des Lebens. Doch das Ziel bleibt weit. Gott dagegen ist Dir entgegengekommen in Christus. Er begegnet Dir in grenzenloser Liebe. Er hat alles für Dich gegeben. Er lässt sich von Dir finden. Bei ihm findest Du Halt. Am Kreuz kannst Du Dich festhalten. Den auf das Kreuz folgt das Leben.

Doch das Kreuz hat in unserer Zeit oft keinen Platz mehr. Ob im Garmisch-Partenkirchener Tourismusprospekt oder auf dem Berggipfel oder im Klassenzimmer – lieber verstecken wir das Kreuz, nehmen es weg. Aus Rücksicht vor Andersgläubigen, so wir manchmal argumentiert. Doch wie ist hier die Erfahrung wirklich? Was erleben Menschen, die von Ferne zu uns kommen, ob als Flüchtlinge oder als Touristen? Können die Menschen uns noch abspüren, dass hier ein anderer Geist herrscht als dort, wo sie geflohen sind? Haben wir die Liebe Gottes schon so unterdrückt, dass wir am liebsten nichts mehr davon  zeigen wollen? Können die Menschen noch spüren, dass wir in der Liebe Christi ihnen begegnen, ihnen ein Zuhause geben, ihnen zeigen, was es bedeutet: Ich habe alles für Dich gegeben, damit Du leben kannst.

Wo stehe ich? Stehe ich fest zum Kreuz? Oder ist es mir peinlich? Glaube ich, dass mir hier die Liebe Gottes begegnet, die mich frei macht? Oder finde ich das Kreuz nicht zeitgemäß? Wenn nicht, was dann? Zeitgemäß bleiben der Leistungsdruck und das Sich-Selbst-Beweisen-Müssen. Paulus zeigt uns ganz neu: Bei ihm, dem Gekreuzigten finden wir den Frieden, finden wir die Kraft, finden wir das Leben. Schauen wir auf ganz neu auf das Kreuz. Im Leiden ist der lebendige Gott uns nahe. Er steht zu uns. Er will uns neues Leben schenken. Und von diesem neuen Leben können wir bezeugen, dass es die Kraft Gottes ist, die ausstrahlt, die uns ermutigt Schritte zu gehen, die aufrichten. Denn hinter dem Kreuz steht das Leben, die Auferstehung, die Zukunft. Sagen wir ja zu Jesus, so werden wir bestehen in dieser Zeit.

Ihr Pfarrer Carsten Klingenberg