03.01.2021 2. Sonntag nach Weihnachten

03.01.2021 2. Sonntag nach Weihnachten

Predigt: Lukas 2:41-52

41 Und seine Eltern gingen alle Jahre nach Jerusalem zum Passafest. 42 Und als er zwölf Jahre alt war, gingen sie hinauf nach dem Brauch des Festes. 43 Und als die Tage vorüber waren und sie wieder nach Hause gingen, blieb der Knabe Jesus in Jerusalem, und seine Eltern wussten's nicht. 44 Sie meinten aber, er wäre unter den Gefährten, und kamen eine Tagereise weit und suchten ihn unter den Verwandten und Bekannten. 45 Und da sie ihn nicht fanden, gingen sie wieder nach Jerusalem und suchten ihn. 46 Und es begab sich nach drei Tagen, da fanden sie ihn im Tempel sitzen, mitten unter den Lehrern, wie er ihnen zuhörte und sie fragte. 47 Und alle, die ihm zuhörten, verwunderten sich über seinen Verstand und seine Antworten. 48 Und als sie ihn sahen, entsetzten sie sich. Und seine Mutter sprach zu ihm: Mein Kind, warum hast du uns das getan? Siehe, dein Vater und ich haben dich mit Schmerzen gesucht. 49 Und er sprach zu ihnen: Warum habt ihr mich gesucht? Wusstet ihr nicht, dass ich sein muss in dem, was meines Vaters ist? 50 Und sie verstanden das Wort nicht, das er zu ihnen sagte. 51 Und er ging mit ihnen hinab und kam nach Nazareth und war ihnen gehorsam. Und seine Mutter behielt alle diese Worte in ihrem Herzen. 52 Und Jesus nahm zu an Weisheit, Alter und Gnade bei Gott und den Menschen.


Liebe Mitchristinnen und Mitchristen!

Viele Eltern hat das Lied von Willy Astor zum Schmunzeln gebracht: „Pubatier inda house“. Willy Astor beschreibt auf humorvoll beeindruckende Weise das Verhalten der pubertierenden Generation. Viele Klischees kommen zum Zuge. Aber das ist ja auch das Amüsante. Und es tut gut im Alltag mit solchen „Pubatieren“ auch einmal das eine oder andere humorvoll zu nehmen. In diesem Alter streiten zwei Seiten gegeneinander. Da fühlt sich der Mensch schon so reif und verständig. Er meint, er können schon alles. Das Leben steht vor der Tür und man muss es nur ergreifen. Hoppla, jetzt komm ich. Und auf der anderen Seite können diese „Pubatiere“ auch noch so verletzlich und hilfsbedürftig sein. Da gibt es Situationen, in denen es eben nicht so klappt, in denen man auf die elterliche Fürsorge angewiesen ist. Und zugleich will sich so manches „Pubatier“ das auch nicht eingestehen. Am besten: Keine Schwäche zeigen!

Wie dem auch sei: Für manche Eltern ist der Umgang mit ihren „Pubatieren“ nicht einfach. Doch was bleibt ihnen? Letztlich müssen sie abwarten. Das Leben geht weiter. Die Kinder wachsen weiter heran und werden – hoffentlich – auch an Weisheit zunehmen.

Und damit sind wir bei der Heiligen Familie. Maria und Joseph haben’s nicht leicht. Das süße Kind von Weihnachten wächst heran. Und nun haben sie offenbar auch so ein „Pubatier“. Der zwölfjährige Jesus ist mit seinen Eltern und vielen Verwandten nach Jerusalem zum Passahfest gekommen. Festbesuch mit Verwandten – das kommt bei unseren Jugendlichen nicht immer gut an. Manch einer versucht da, so seine eigenen Wege zu gehen. Wenn ich schon mit muss, dann suche ich eben nach Wegen, wie ich mich etwas absentieren kann und auf meine Kosten komme. Während die Erwachsenen sich unterhalten, ist dann so manch Jugendlicher schnell mal aus dem Blick gehuscht. Das kommt vor. Und so war es offenbar auch damals.

Das Passahfest wurde gefeiert. Und nach dem Fest machten sich wieder alle auf den Weg nach Hause. Reiseverkehr mit Staus und langen Schlagen, wie in unseren Tagen, nur etwas anders. Das gab es auch damals. Da  kam ein Esel aus dem Trott und musste mal anhalten. Da hatte sich etwas in den Hufen verfangen, sozusagen eine kleine Reifenpanne. Und schon wurde der Weg versperrt. Bei all dem Trubel des Reiseverkehrs fallen manche Dinge lange nicht auf. Doch dann drängt sich plötzlich eine brennende Frage auf. Wo ist das Kind? Wo ist der Junge? „Na, ich dachte, Du weißt es!“ „Ich hate geglaubt, dass er mit Onkel Jakob oder Tante Sarah und den Kindern geht.“ „Ja, aber bei denen ist er nicht! Die habe ich eben gefragt.“

Ein riesiger Schreck durchfährt die Eltern. Wir können Maria und Joseph. Sie hatten vertraut! Sie dachten, Jesus geht mit der Verwandtschaft. Sie hatten ihm das zugetraut, dass er sich zu denen hält und brav mitläuft. Doch nun! Wo ist er? Es ist der Schreck aller Eltern, die ihr Kind aus den Augen verloren haben. Was ist passiert? Und damals gab es noch kein Smartphone oder auch keine Smartwatch, mit der man das Kind orten könnte. Hat er sich verlaufen? Ist verunglückt? Hat ihm jemand etwas angetan? In Maria und Joseph wird es heiß. Panik macht sich breit. Sie beratschlagen, was jetzt zu tun ist. „Wir müssen noch einmal zurück!“ Das ist die Erkenntnis. Den ganzen Weg noch einmal ablaufen! Kurz werden die Verwandten benachrichtigt. Und dann sind Maria und Joseph auch schon wieder auf dem Weg zurück nach Jerusalem. Und das ist mühsam. Sorgen plagen sie. Und dann der ganze Gegenverkehr, all diejenigen, die nach Hause wollen. Immer ein Blick zu den entgegenkommenden Menschen, eine Frage: Ist der Junge hier? Hat ihn jemand gesehen? Immer diese verneinenden Blicke!

Was müssen Maria und Joseph durchgemacht haben!
Schließlich kommen die beiden in Jerusalem wieder an. Aufgewühlt und erschöpft begeben sie sich zum Tempel. Sie betreten ihn. Und da begegnet ihnen eine ganz andere Atmosphäre. Noch hört man das sorgenvolle Schnaufen der beiden. Doch im Tempel herrscht Ruhe. Es ist keine gespenstische Ruhe. Es ist vielmehr die Ruhe, die Geborgenheit und Frieden vermittelt.

Und da blicken Maria und Joseph auf eine Situation, die sie umhaut. Da sitzt der zwölfjährige Jesus mit anderen Gelehrten. Sie sitzen. Und er sitzt. Es ist die Haltung der damaligen Zeit. Wer etwas zu sagen hatte, stand nicht, sondern saß. Und Jesus zeichnet sich dadurch aus, dass er nicht wie viele Jugendliche unserer Tage, seine Meinung einfach vehement vertritt und reinredet und nur seine Position zum Zug kommen lässt. Jesus wird hier als ein sehr weiser Mensch beschrieben, der zuallererst zuhört. Und das ist eine sehr seelsorgerliche Haltung. Er erweist sich nicht als ein aufbegehrender Jungspund, sondern als aufmerksamer Gesprächspartner. Und das führt nun zu einer Verwunderung bei seinen Gesprächspartnern. Deshalb lassen sie sich auch auf eine Unterredung mit ihm ein.

Doch diese so reife Haltung und dazu die Ruhe der Situation wird nun unterbrochen durch Maria und Joseph. Wie auch Eltern unserer Tage, die voll von Sorgen und Gedanken sind, platzen die beiden in diese Unterhaltung hinein und schleudern erst einmal ihre Vorwürfe heraus. Und diese sind aus Elternsicht durchaus nachvollziehbar. Nur passen sie hier nicht zum Augenblick. Maria und Joseph stellen Jesus zur Rede wie einen Jugendlichen, den die Eltern nun bei etwas Verbotenem ertappt haben. Warum tust Du das? Warum tust Du das uns an? Und zugleich drücken die Eltern aus, was sie in ihrer ganzen Elternliebe für Sorgen in und mit sich getragen habe. Wie sehr sie sich sorgen gemacht haben, dass etwas passiert ist! Wir spüren das Unverständnis der Eltern für Jesus. Und wir können uns in Eltern heute hineinversetzen, zumindest diejenigen unter uns, die selber Kinder haben.

Hier kommt es zu einem Generationenkonflikt. Es gibt in solchen Fällen immer zwei Sichtweisen. Und dabei wird auch klar, dass es unterschiedliche Bezugspunkte gibt. Während die Eltern um Ordnung und gute Abläufe bemüht sind, geht es den Jugendlichen in der Regel um etwas anderes, nämlich das, was gerade ihre Gedanken bestimmt. So sind meist die Antennen weder der Eltern noch der Jugendlichen auf Empfang gestellt.

Und das wird auch bei Jesus deutlich. Er sagt bemerkenswerte Worte, die seine Eltern verstören müssen. „Wisst ihr nicht, dass ich sein muss bei dem, was meines Vaters ist?“ „Ist der Junge jetzt völlig übergeschnappt?“ können sich Maria und Joseph denken. „Wäre er doch bei seinem Vater geblieben! Wäre er doch mit uns gegangen! Dann hätten wir nicht diese Umstände machen müssen!“
Doch Jesus spricht von etwas ganz anderem. Es geht ihm um seinen himmlischen Vater. Es geht ihm um Gott. Und wo anders kann er mit ihm in besonderer Weise verbunden sein als im Haus Gottes, im Tempel. Hier will er sein. Hier ist sein Platz. Hier gehört er hin. Und das, weil das Haus Gottes ein Gebetshaus ist. Im Gebet mit dem Vater verbunden will er sein. „ich und der Vater sind eins“, wird Jesus später sagen. Doch das ist eine Botschaft, die auch in späteren Zeiten Widerspruch hervorrufen wird. Und da merken wir einen entscheidenden Unterschied zu den „Pubatieren“, die wir vor Augen haben. Diese fragen meist nicht zuerst nach Gott, dem Vater. Die Farge nach Gott ist in unserer Zeit vielen Menschen immer fremder. Und gerade bei Jugendlichen scheint es oft wenig Offenheit dafür zu geben.

Doch vielleicht ist das gerade die Situation, um die es hier geht. Stellen wir uns einen Jugendlichen oder eine Jugendliche unserer Zeit vor. Und bemerken die Eltern plötzlich: Unser Sohn, unsere Tochter geht so oft weg, und das nicht ins Kino, in die Szene, zu den Plätzen, an denen sich die Jugendlichen treffen. Unser Kind geht in die christliche Gemeinde, hat Freude an den Gottesdiensten, singt Loblieder, bringt sich da voll ein, redet auf einmal ganz anders, verhält sich auch anders. Was ist mit unserem Kind los?
Sprachlosigkeit macht sich breit. Sollen wir Rat bei irgendjemand holen? Ist unser Kind in eine Sekte geraten?

„Wusstet ihr nicht, dass ich sein muss in dem, was meines Vaters ist?“ Das sind merkwürdige Worte eines Zwölfjährigen! Doch Maria zeigt uns, wie eine Mutter damit umgehen kann. Maria sagt jetzt nicht: „So ein Schmarrn!“ Sie entfacht auch keine weitere Diskussion. Sie spürt und merkt, dass sie das nicht versteht, dass da etwas Tieferes vor sich geht mit ihrem Sohn. Und deshalb bewegt sie diese Wort in ihrem Herzen. Ja, sie behält sie in ihrem Herzen. Und das bedeutet: Maria lässt diese Worte in sich reifen. Noch versteht sie es nicht. Noch kann sie ihren Sohn nicht begreifen. Aber sie wartet letztlich ab und hofft, dass sich dieses Geheimnis dieser Worte aufschließen wird.

Und dann hören wir noch etwas Bedeutendes: „Jesus nahm an Weisheit, Alter und Gnade bei Gott und den Menschen.“ Das sind treffende Worte über einen Zwölfjährigen. Unsere Jugendlichen, unsere „Pubatiere“ sind noch nicht am Ende. Sie stehen mitten in einer Entwicklung. Und wenn wir heute mitunter den Eindruck haben, dass sie übers Ziel hinausschießen, dann ist das noch nicht der letzte Eindruck. Und wenn ein Jugendlicher begeistert Glauben leben will, dann ist das wunderbar. Dann gehört da durchaus auch eine überschwängliche Begeisterung dazu. Und ganz offen gesagt: Sind wir nicht manchmal zu wenig begeistert, wenn es um Glauben geht? Dann können wir sogar von unseren Frisch-Begeisterten noch etwas lernen. Glaube, die Beziehung zum  Vater, zu Gott wird immer Veränderung erfahren. Nicht, dass wir uns nicht auf Gott verlassen könnten. Er bleibt treu. Aber wir gehen den Weg unseres Lebens. Und dieser ist bestimmt von Erfahrungen, Erfolgen und Misserfolgen. Und so entdecken wir im Laufe der Zeit, wie wir älter und weiser werden. Das heißt nicht, dass der Glaube mehr wert wäre, als der eines jungen Menschen. Es gibt nur eine Beziehung für uns, die trägt. Es ist die Beziehung zu Jesus, der eins ist mit dem Vater. An ihm erkennen wir, wie im Glauben eine Dynamik steckt, die uns bestehen lässt in den verschiedenen Abschnitten unseres Lebens, wenn wir die Gemeinschaft mit Gott suchen.

Ihr Pfarrer Carsten Klingenberg